Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Kommentar: Zynismus und Slogans

Politik / HEUTE • 07:15 Uhr

Zwei Meldungen auf orf.at am selben Tag: „Mehr als 20 tote Zivilisten bei russischem Angriff“. Unmittelbar darunter: „Herbert Kickl ist dafür, russisches LNG-Gas zu kaufen, weil es billiger ist als jenes aus dem Nahen Osten oder den USA“. Das ist – mit Verlaub – an Zynismus nicht zu überbieten. Da denkt ein österreichischer Politiker, der beinahe Kanzler geworden wäre (wenn er es zu unserem Glück nicht selbst verpatzt hätte), laut darüber nach, für billiges Gas mit einem Land ins Geschäft zu kommen, das sein Nachbarland überfallen hat und laufend mit Drohnen und Bomben terrorisiert. Es sollte sich langsam herumgesprochen haben, dass Russland seinen Krieg mit den Öl-Milliarden finanziert. Gleich nach Kickls Vorschlag hat Putin seine Drohnen nach Polen geschickt, dann Kampfjets über Estland. Er provoziert und bedroht die EU skrupellos. Mit so jemandem sollen wir Geschäfte machen? Kommt das Fressen wirklich vor der Moral?

Die aktuelle Weltpolitik bietet solche Zynismen reichlich. Der Angriff auf die Ukraine wurde zur „militärischen Spezialoperation“. Israel nimmt in Gaza Tausende unschuldige zivile Opfer und den Tod der noch verbliebenen Geiseln in Kauf. Donald Trump kann ungestraft damit prahlen, er könne mitten auf der Fifth Avenue jemanden erschießen, und er würde keine Wähler verlieren. Warum wird solcher Zynismus nicht sanktioniert? Vieles davon sind Wortspiele oder Verdrehungen, die strafrechtlich schwer zu greifen sind. Oder die Verfasser sind in einer starken Position wie Trump oder Putin. Oder man ist so ungeniert wie AfD-Chefin Alice Weidel: „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.“ Zynismus wird gerade von rechtsextremen Politikern gezielt eingesetzt, um das Vertrauen in Institutionen zu untergraben. Zynische Aussagen sind medial verwertbar und sorgen für Schlagzeilen, Klicks und Aufmerksamkeit. Es geht auch anders. Charismatische Politiker wie John F. Kennedy oder Barack Obama schafften das mit wenigen Worten, die Jahrzehnte im Gedächtnis bleiben. Kennedy: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Oder ganze vier Worte, um die Verbundenheit zu Deutschland zu dokumentieren: „Ich bin ein Berliner“ (auf Deutsch). Obama erzeugte Aufbruchsstimmung mit „Yes, we can“. Gut gemachte Slogans sind erfolgreich. Die CSU propagierte einst in Bayern „Laptop und Lederhose“, um auszudrücken, dass sich Moderne und Tradition miteinander verbinden lassen. Schlechte Slogans können in die Hose gehen. Von „Koste es, was es wolle“ (Sebastian Kurz) bis „Wir schaffen das“ von Angela Merkel. Manchmal erzielt ein unglücklicher Sager ein Image, das man nie mehr loswird, wie das „Es ist alles sehr kompliziert“ des SPÖ-Kanzlers Fred Sinowatz.

Schlagzeilen und Aufmerksamkeit sind auch das Geschäft der Spin Doktoren. Das sind Experten für politische Kommunikation, die dafür sorgen, dass ihre Klienten möglichst positiv dastehen, indem Informationen „gedreht“ werden (engl. spin). Das haben die Leute um den früheren Kanzler Kurz auf die Spitze getrieben. Eine Zeitlang war es um die Spin Doktoren ruhig, doch jetzt schlagen sie wieder zu. Dem Bundeskanzler Stocker (ÖVP) haben sie die Formel 2-1-0 eingeredet: Inflation auf 2 Prozent senken, ein Prozent Wirtschaftswachstum, null Toleranz gegenüber Extremismus. Klingt gut, ist aber wenig ambitioniert. Nationalbank, WIFO und IHS sagen, dass diese Ziele bei Inflation und Wachstum von allein erreicht werden, ohne dass neue Maßnahmen notwendig wären. Mut statt Spin sollte das Motto sein: Mut für Reformen, von den Pensionen bis zu Gesundheit und Pflege, vor allem im Interesse nächster Generationen.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.