Russland-Experte: “Putin kann nicht mehr zurück”

Politik / 27.03.2022 • 12:30 Uhr
Russland-Experte: "Putin kann nicht mehr zurück"
Der Kremlchef bei einer Ansprache in Moskau. Sputnik/AP

Politikwissenschaftler Gerhard Mangott über die aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg.

Schwarzach Seit mehr als vier Wochen führt Russland einen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland Ukraine. Die schweren Kämpfe nehmen kein Ende, Tausende Menschen sollen bereits getötet worden sein, Millionen sind auf der Flucht. Wie es weitergeht, ist unklar.

Die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew dauern an. Der Politikwissenschaftler und Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck verweist auf widersprüchliche Meldungen zum Gesprächsfortschritt. Erreiche Moskau seine Forderungen nicht, komme es wohl zur militärischen Eskalation.

Aktuelles Geschehen. „Es gab offensichtlich Fehlannahmen auf russischer Seite bei der Planung der militärischen Aktion“, sagt Mangott. Das zeige sich an der aktuellen Entwicklung. Die Anzahl der getöteten Soldaten sei höher als erwartet, außerdem habe Moskau wohl den Widerstand der Ukraine geringer eingeschätzt. Rund um Kiew gebe es „eine Art Stillstand des Kriegs“, bei Städten wie Charkiw offenbar keine Fortschritte. Anders sehe es aber im Donbass und im Süden aus. „Das Bild ist gemischt.“

Innerer Zirkel. Kürzlich hatte der Sonderbeauftragte von Präsident Wladimir Putin für Beziehungen zu internationalen Organisationen, Anatoli Tschubais, seinen Rücktritt erklärt. Er zählte zum liberalen Lager. Unter dem früheren Staatschef Boris Jelzin hatte er in den 90er-Jahren als Vizeregierungschef und Leiter der Präsidialverwaltung die Privatisierung der Wirtschaft vorangetrieben. Später leitete er wichtige Unternehmen. Tschubais gelte als einer der Architekten der wirtschaftlichen Schocktherapie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, sagt Mangott. Seine letzte Funktion sei aber nicht mehr so einflussreich gewesen, zunehmend habe er sich distanziert. „Der Rücktritt war eigentlich erwartet worden.“ Um eine Bedrohung des inneren Zirkels handle es sich nicht.

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Politologe Gerhard Mangott lehrt an der Universität Innsbruck. Mangott

Stand der Verhandlungen. Derzeit finden Gespräche beider Seiten über ein Kriegsende statt. Die russischen Forderungen beinhalten eine Neutralität der Ukraine sowie eine Entmilitarisierung des Nachbarlandes. Moskau pocht außerdem auf die Anerkennung der Krim als russisches Staatsgebiet sowie die Unabhängigkeit der Regionen Donezk und Luhansk. Kiew besteht auf territorialer Unversehrtheit, ließ zuletzt aber Kompromissbereitschaft bei der Neutralität erkennen. Dafür brauche es starke Sicherheitsgarantien des Westens. „Es gibt immer wieder widersprüchliche Meldungen über den Verhandlungsfortschritt“, sagt Politologe Mangott. Am weitesten seien die Fortschritte aber wohl bei der Abkehr einer angestrebten NATO-Mitgliedschaft, des neutralen Status. „Doch selbst dort gibt es Differenzen.“ Russland wolle eine neutrale, demilitarisierte Ukraine. Bestimmte Waffensysteme sollten demnach nicht stationiert, die Truppengröße begrenzt werden – für Kiew sei das nicht hinnehmbar. Die geforderten Sicherheitsgarantien bedeuteten wiederum den Bündnisfall nach Artikel fünf des NATO-Vertrags durch die Hintertür. „Es ist fraglich, ob Russland bereit wäre, das zu akzeptieren.“ Zudem wollten auch westliche Länder keinen direkten Konflikt mit Moskau.

Dauer des Kriegs. Zumindest in den nächsten Wochen sei kein Ende des Krieges zu erwarten, sagt Mangott. „Wenn Russland sein Ziel, die Kapitulation und Anerkennung der Forderungen, nicht erreicht, wird es militärisch eskalieren.“ Die Kapazitäten seien zwar umstritten. Aber: „Putin kann nicht zurück. Er muss alles vermeiden, was eine politische oder militärische Niederlage Russlands bedeuten würde. Nicht so sehr gegenüber der Bevölkerung, sondern der Führungselite.“