Der Mann, der die Welt veränderte

Trauer um Gorbatschow. Der Ex-Sowjet-Präsident brachte große Reformen auf den Weg.
Moskau Die Welt trauert um einen großen Politiker und Versöhner: Der russische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow, einer der Väter der deutschen Einheit, ist tot. Im Alter von 91 Jahren starb der frühere sowjetische Präsident am Dienstagabend nach langer schwerer Krankheit, wie das Zentrale Klinische Krankenhaus (ZKB) in Moskau mitteilte. Vor allem Politiker im Ausland würdigten Gorbatschow als Staatsmann von Weltrang, der den Kalten Krieg beendete und Millionen Menschen die Freiheit gab.
Seinen Platz in der Geschichte sicherte sich der im Nordkaukasus geborene Gorbatschow schon Ende der 1980er-Jahre: Mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) schuf er die Voraussetzung für das Ende der jahrzehntelangen Konfrontation zwischen Ost und West und auch für den Fall der Berliner Mauer 1989.
Ukraine-Konflikt
In den letzten Jahren war Gorbatschow – im Westen gern „Gorbi“ genannt – besonders noch als Buchautor aktiv und meldete sich zu aktuellen Themen wie dem Ukraine-Konflikt zu Wort. Laut Weggefährten verurteilte der gesundheitlich zuletzt sehr geschwächte Gorbatschow auch Putins Angriffskrieg gegen das Nachbarland. Eine offizielle Reaktion ist aber nicht überliefert. In den Jahren zuvor hatte Gorbatschow allerdings auch immer wieder beklagt, dass es nach der maßgeblich von Moskau unterstützten deutschen Einheit heute wieder Feindbilder wie zu Zeiten des Kalten Krieges gebe. Er sah auch eine Entfremdung zwischen Deutschen und Russen.
In seinem letzten Buch „Was jetzt auf dem Spiel steht“ kritisierte er ein „Triumphgehabe“ des Westens. „Gorbi“ war enttäuscht, dass die Deutschen mit der EU und den USA im Ukraine-Konflikt eine Politik der Sanktionen gegen Russland fahren. „Das erklärte Ziel ist es, Russland zu bestrafen.“ Die Strafmaßnahmen für die russische Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim von 2014 wollte er ebenso wenig einfach hinnehmen wie der Kreml. „Denn die Sanktionen haben nur eine einzige Wirkung: Die gegenseitige Entfremdung nimmt zu.“ Bei aller Schaffenskraft in den letzten Jahren mit vielen Interviews plagten Gorbatschow schwere gesundheitliche Probleme. Immer wieder kam er ins Krankenhaus. Seine letzte Ruhe finden soll „Gorbi“ auf dem Neujungfrauenfriedhof in Moskau – für prominente Russen – neben seiner Frau Raissa. Ihren frühen Tod bezeichnete er stets als schweren persönlichen Schlag. Raissa starb 1999 in einer Klinik in Münster an Krebs.
Abrüstung
Die in den 1980er-Jahren auch von DDR-Bürgern glühend aufgenommene neue politische Linie Moskaus hin zu mehr Offenheit gilt bis heute als Durchbruch zu Freiheit und Demokratie in Osteuropa. Bis heute steht sein Name zudem für eine historische atomare Abrüstung, die er damals mit den USA auf den Weg gebracht hatte. Vor seinem Tod musste „Gorbi“ aber noch mit ansehen, wie ein Abrüstungsvertrag nach dem anderen endete. Er warnte vor einem neuen Rüstungswettlauf: „Die Gefahr einer Militarisierung von Weltraum und Cyberspace ist real und in ihren möglichen Folgen katastrophal.“
Einst wollte der damalige Kremlchef mit seinen Reformen noch den Kommunismus modernisieren – am Ende leitete er selbst den Zerfall der Supermacht Sowjetunion ein, das Aus des kommunistischen Machtimperiums. Viele seiner Mitbürger nahmen ihm das übel. In ihren Augen war Gorbatschow ein führungsschwacher Politiker ohne Machtinstinkt, der „Totengräber der Sowjetunion“. In einer Bilanz meinte der frühere Staats- und Parteichef einmal, die sowjetische Gesellschaft sei unreif gewesen für massive Reformen.

Michail Gorbatschow (l.) und Erich Honecker küssten sich oft: Auch bei einem Treffen in Berlin im Oktober 1989 gab es den traditionellen Bruderkuss. AP

Zum Abschluss seines offiziellen Staatsbesuchs in Großbritannien im April 1989 empfing Queen Elizabeth II. Gorbatschow auf Schloss Windsor. AFP

Der kubanische Präsident Fidel Castro und Gorbatschow bei einer Veranstaltung in Havanna im April 1989. RTS

U2-Sänger Bono, der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und der ehemalige Präsident der Sowjetunion im März 2002 in der russichen Botschaft in New York. AP

Im Mai 1992 besuchten Michail Gorbatschow und seine Frau Raisa den ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und seine Frau Nancy auf deren Ranch in Kalifornien. RTS
Wichtige Stationen in Michail Gorbatschows Leben
2. März 1931 Geburt im nordkaukasischen Dorf Priwolnoje (Region Stawropol). Der Sohn eines Kolchose-Bauern arbeitet zunächst als Mähdreschermechaniker. Für den Wehrdienst ist er untauglich.
1950 Beginn des Jus-Studiums an der Moskauer Lomonossow-Universität. Dort lernt Gorbatschow seine spätere Frau Raissa (1932-1999) kennen. 1953 heiratet das Paar, 1957 kommt die einzige Tochter Irina zur Welt.
1952 Nach dem Beitritt zur Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) folgt eine steile politische Karriere. Er wird 1971 Mitglied des Zentralkomitees, 1980 rückt er ins Politbüro auf. Als Repräsentant des Obersten Sowjets gestaltet er die Kreml-Politik mit.
11. März 1985 Gegen den Widerstand kommunistischer Altkader wird er mit 54 Jahren zum zweitjüngsten Generalsekretär der Parteigeschichte gewählt. Gorbatschow leitet eine historische Reformpolitik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) ein.
1988 In einer Rede vor den Vereinten Nationen in New York kündigt er einseitige Abrüstungsschritte an. Das Echo ist weltweit positiv. Zudem zieht Gorbatschow nach einem zehnjährigen militärischen Fiasko die sowjetischen Truppen aus Afghanistan ab.
7. Oktober 1989 Bei einem Besuch in Ost-Berlin kommt es zur berühmten Formulierung: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – obwohl er den Satz so nie gesagt haben soll.
16. Juli 1990 Gorbatschow stimmt im Kaukasus bei einem Treffen mit dem westdeutschen Bundeskanzler Helmut Kohl der deutschen Wiedervereinigung zu.
1990 Gorbatschow, der nun offiziell den Amtstitel Sowjetpräsident trägt, erhält den Friedensnobelpreis. Das Staatsoberhaupt spiele eine führende Rolle im Friedensprozess, begründet das Komitee die Wahl.
1991 Gorbatschow übersteht zwar einen Putsch von Parteifunktionären. Aber immer mehr Sowjetrepubliken sagen sich von Moskau los. Daraufhin tritt Gorbatschow am 25. Dezember 1991 als Präsident zurück.
1992 In Moskau nimmt die Gorbatschow-Stiftung ihre Arbeit auf. International bleibt der Ex-Präsident ein gefragter Diskussionsgast. In der russischen Tagespolitik ist seine Stimme über viele Jahre kaum zu vernehmen. In der Ukraine-Krise meldet er sich wieder häufiger zu Wort.
2001-2009 Gorbatschow engagiert sich im Petersburger Dialog, einem zivilgesellschaftlichen Forum zwischen Deutschland und Russland.
30. August 2022 Michail Gorbatschow stirbt im Alter von 91 Jahren in der russischen Hauptstadt Moskau.