Antidemokratische Seuche
Mehr oder weniger gewaltsame Umsturz-Vorbereitungen und -Versuche waren im letzten halben Jahrhundert eher aus Bananenrepubliken und anderen steinzeitlich orientierten Gefilden zu vermelden. Aber in letzter Zeit breitet sich die antidemokratische Seuche auch in als dagegen immunisiert geltenden Gefilden aus.
Angefeuert vom abgewählten US-Präsidenten Donald Trump wollten seine militanten Anhänger der der dortigen Demokratie schon Anfang vergangenen Jahres Mit dem Sturm auf das Washingtoner Parlament den Garaus machen. In Deutschland zog die Polizei unlängst die Putsch-bereite „Reichsbürger“-Sippe aus dem Verkehr. Und als sich Perus Präsident Pedro Castillo zum Allmachts-Alleinherrscher ausrufen wollte, wurde er vom Parlament, zum Glück, fix abgesetzt und hinter Gitter verfrachtet. Von dort aus beantragte er „politisches Asyl“ in Mexiko.
Altpräsident Trump ist noch auf freiem Fuß, aber die Justiz des Landes bereitet dem Vernehmen nach so einiges an Handlungsbeschränkungen vor. Deshalb plant auch Umsturz-Azubi Trump für die Zukunft. Er forderte seine Parteigänger im Parlament auf, sich unverzüglich für die Abschaffung der geltenden und Gewaltenteilung garantierenden Verfassung einzusetzen und eine neue zu formulieren. Eine, die seine Niederlage bei der letzten Wahl für ungültig erklärt und den demokratisch ermittelten Wahlsieger Joseph Biden als „illegitim“ brandmarkt.
Zudem sei in die neue Verfassung aufzunehmen, dass der „rechtmäßige Sieger der letzten Wahl“, also Trump, absolute Immunität auf Lebenszeit genieße. Er also für mögliche Straftaten vor, während oder nach seiner Amtszeit nicht belangt werden kann. In die neue Verfassung gehörten dazu ein paar Spitzfindigkeiten, die seiner „Bewegung“ bei künftigen Wahlen Siege praktisch garantieren.
Wozu die Suspendierung oder schlichte Abwesenheit demokratischer Grundrechtsprinzipien führen kann, weiß in Europa nach zwei Weltkriegen Jeder. Und wem das nicht reicht, sollte sich mit derzeitigen Unrechtsregimen beispielsweise in Moskau, Minsk, Pjöngjang, Kabul, Teheran oder Beijing und der Lebensqualität der dort lebenden Menschen beschäftigen.
Totengräber der Demokratie, Umstürzler und Verfassungsfeinde „aus dem Verkehr zu ziehen“, ist nicht mehr als eine demokratisch legitimierte Vorsichtsmaßnahme. Wir alle, auch die Regierten, müssen sich daran erinnern, dass unsere Demokratie auch mit dem Prädikat der Wehrhaftigkeit behaftet ist.
Peter W. Schroeder
berichtet aus Washington, redaktion@vn.at