Drei Tage, elf Abstimmungen

Ohne gewählten Sprecher bleibt das Repräsentantenhaus in Washington politisch gelähmt.
Washington Das Ritual ist jedes Mal das gleiche – die Kandidaten werden genannt, Reden gehalten, die Stimmen abgefragt und lange ausgezählt. Und am Ende verkündet die Protokollführerin des US-Repräsentantenhauses ein ums andere Mal: „Es wurde kein Sprecher gewählt.“ In elf Abstimmungsrunden zwischen Dienstag und Donnerstagabend gelang es den Abgeordneten nicht, sich auf einen neuen Vorsitzenden zu einigen – ein historisches Debakel.
Pausierter Parlamentarismus
Im halbrunden fensterlosen Plenarsaal scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Seit den Zwischenwahlen im November haben die Republikaner in der Kongresskammer eine knappe Mehrheit. Doch 20 republikanische Hardliner, Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump, setzen alles daran, ihren Parteikollegen Kevin McCarthy als Sprecher des Hauses zu verhindern – und legen damit die gesamte parlamentarische Arbeit lahm.
Die große Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus will der Revolte ein Ende machen. Viele von ihnen sind am Donnerstag am Ende ihrer Geduld. „Wir müssen dieses kaputte System reparieren“, sagt etwa der Abgeordnete Matt Rosendale aus dem US-Bundesstaat Montana.
Doch die 434 Mitglieder des Repräsentantenhauses müssen so lange weiter abstimmen, bis sie eine Mehrheit für einen Kandidaten zusammenbringen. „Ich stimme für Kevin McCarthy, und könnten Sie bitte die Klimaanlage herunterdrehen?“, ruft die Republikanerin Nicole Malliotakis aus der ersten Reihe und reibt sich die Hände, um sie zu wärmen. Die Prozedur ist ermüdend, so manchem fallen die Augen zu.
Demokraten ohne Mehrheit
Die Demokraten erheben sich geschlossen, als wollten sie die Spaltung der Republikaner noch augenscheinlicher machen. Alle stimmen für ihren Kandidaten Hakeem Jeffries, doch ihnen fehlt die Mehrheit.
Zwischen den Abstimmungen vertreiben sich einige die Zeit mit Zeitunglesen. Ein paar Reihen weiter hält die junge Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez das Neugeborene einer Kollegin mit Grimassen bei Laune. Ganz hinten nutzt ein Mann mit roter Krawatte die Zeit für ein paar Dehnübungen.
Neu Gewählte nutzen die Gelegenheit, um sich mit der ehemaligen Sprecherin Nancy Pelosi zu fotografieren. Wann ihr Nachfolger feststeht, ist ungewiss. Im Jahr 1856 einigten sich die Abgeordneten erst nach zwei Monaten und 133 Abstimmungen auf einen neuen Sprecher.