Finnland in der NATO

Politik / 05.04.2023 • 22:47 Uhr

Ein Tag, an dem europäische Geschichte geschrieben wurde: Als am Dienstagnachmittag Finnland offiziell der Nato beitrat, hat sich die sicherheitspolitische Landkarte Europas entscheidend verändert. Mit dem Beitritt Finnlands als 31. Mitgliedstaat zum Nordatlantikpakt umfasst die „North Atlantic Treaty Organization“ nunmehr 50 Prozent der globalen Militärmacht, wie Jens Stoltenberg, der Generalsekretär der Organisation, stolz erklärte. Doch in der Landkarte Nordeuropas klafft – vorerst noch – eine große Lücke zwischen den Nato-Mitgliedern Norwegen, Dänemark, Finnland, den baltischen Staaten und Polen: Schweden. Der bisher neutrale Staat hat zugleich mit Finnland um Mitgliedschaft angesucht, doch vorerst zeigen sich die Türkei und auch Ungarn störrisch – sie verweigern die Ratifizierung des schwedischen Beitritts.

Schweden würde damit seine seit 20 Jahren ohnehin nur mehr als „bündnisfrei“ definierte Neutralität aufgeben – ganz im Gegensatz zu der wesentlich strikter gefassten Neutralität der Schweiz und Österreichs. Und auch diese Positionierung würde, wie im Fall Finnlands, beim Beitritt zum nordatlantischen Bündnis obsolet. Finnland hat eine 1340 Kilometer lange Grenze zu Russland und diese ist gleichsam über Nacht zur massiv verlängerten Demarkationslinie zwischen Russland und der Nato geworden. Putin tobt, und er hat allen Grund dazu: Was er mit seiner Ukraine-Invasion bezweckte, nämlich den Vormarsch des Westens abzublocken, ist gründlich gescheitert. Putin hat das genaue Gegenteil erreicht: Das westliche Bündnis ist wegen seiner Aggression stärker und einiger denn je – und es hat sich bis an die Nordostgrenze Russlands vorgeschoben. Der Meinungsumschwung in Finnland, der von der Doktrin der Bündnisfreiheit zum Nato-Beitritt geführt hat, wurde durch die Ukraine-Invasion Russlands und die neu aufgelebten Ängste vor dem großen Nachbarn im Osten ausgelöst.

Putins Wut angesichts dieser Entwicklungen bringt ernste Risiken mit sich: Die Versuchung, den bisher gegenüber Russland „wohlwollend bündnisfreien“ (Stichwort: „Finnlandisierung“) Nachbarn für seinen kühnen Schritt ins westliche Bündnis zu bestrafen, ist zweifellos groß. Die Erweiterung der Nato, so erklärte der Kreml-Sprecher Dimitri Peskow gleich am Dienstag, sei „ein Angriff auf unsere Sicherheit und die nationalen Interessen Russlands“, das sich jetzt zu „Gegenmaßnahmen“ gezwungen sehe. Aber was kann Putin schon tun, um seiner Ohnmacht entgegenzuwirken und sein Prestige zu retten? Jegliche militärische Strafaktion gegen Finnland – und namentlich der Abwurf einer Atombombe auf eine finnische Stadt – würde nunmehr automatisch die Bündnisverpflichtung der übrigen Nato aktivieren, und eine katastrophale Eskalation in Europa wäre nicht mehr abzuwenden. Nahezu undenkbar.

Charles E.
Ritterband

charles.ritterband@vn.at

Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).