Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Lauter Lügen

Politik / 24.04.2023 • 05:30 Uhr

Von wem stammt dieser Satz über die sich auf die Straße klebenden Klima-Aktivisten? „Die Vorstellung, dass es so schlimm um uns bestellt sei, dass bei Protesten auf Rechtsstaat und Demokratie, auf eine funktionierende Infrastruktur sowie auf die Bedürfnisse von Menschen keine Rücksicht mehr genommen werden muss, enthält ein totalitäres Moment. Auch eine Ökodiktatur bliebe eine Diktatur.“

Liessmann wird gern ins konservative Eck gestellt.

Antwort: Von Konrad Paul Liessmann, eben 70 geworden, Professor für Philosophie, in seinem neuen Buch „Lauter Lügen“ (Zsolnay-Verlag), eine Sammlung von Essays, die in der „Kleinen Zeitung“ und der NZZ erschienen sind. Liessmann setzt fort: „Dogmatismus und aggressive Störaktionen verärgern auch Sympathisanten der Bewegung. Sich festzukleben offenbart unfreiwillig die eigentliche Botschaft solch eines blinden Aktionismus: Mit diesem kommen wir einfach nicht vom Fleck“. Schriebe ein Nehammer oder Kickl solches, ein Shitstorm auf Twitter wäre die Folge. Nichts davon bei Liessmann. Denn er argumentiert klug, dass wir unsere Lebensverhältnisse ändern müssen und innovativen Geist brauchen, aber keine Weltuntergangs-Rhetorik. Zum Buchtitel: Liessmann meint zwar, dass Populisten heute ungeniert Lügen verbreiten können, dass ihre Anhänger das wissen und trotzdem jubeln. Doch in der Politik sei immer schon gelogen worden: „Lügen in der Politik gehören gleichsam zum Geschäft.“ Er singt ein „Lob des Lügners“, seinen Lieblingsphilosophen Nietzsche zitierend, oder Macchiavelli, der die Lüge dann verteidigte, wenn sie dem Wohl des Volkes dient.

Er scheut keine Konfrontation, etwa mit der „Nonchalance, mit der in Genderdebatten Verweise auf biologische Fakten ignoriert und ins rechtskonservative Eck abgeschoben werden“. Oder, süffisant: „Gilt Faktenwissen nicht seit langem in der modernen Pädagogik und Didaktik als verzichtbar, ja als geradezu schädlich, da jugendliche Gehirne keinesfalls mit Wissen belastet werden dürfen, wenn es doch um Kompetenzen und Emotionen geht?“ Wenn die Salzburger Festspiele angegriffen werden, weil zu deren Sponsoren die Schweizer Firma Solway gehört (ökologisches Fehlverhalten beim Bergabbau), kontert Liessmann damit, dass Michelangelo den Auftrag zur Sixtinischen Kapelle vom Kriegspapst Julius II. bekommen hat: „Hätte Michelangelo ablehnen sollen? Müssen wir die großartigen Fresken deshalb verhängen, übermalen oder abschlagen?“ Besonders elegant kontert Liessmann jenen, „die die gewaltverherrlichenden Dichtungen von Homer und Dante, aber auch von Shakespeare und Schiller am liebsten aus kulturwissenschaftlichen Studiengängen kippen würden“. Er schießt scharf gegen die „unseligen Feldzüge gegen die sogenannte kulturelle Aneignung“, gegen selbsternannte Zensoren und verteidigt leidenschaftlich Karl May (ein Hauptwerk: „Unter Geiern“): „Es gibt keinen Grund, diesen Autor nun den moralisierenden Geiern der Cancel Culture zum Fraß vorzuwerfen.“ Er fragt: „Lohnt es sich, die Literatur gegen ihre ungebildeten Verächter zu verteidigen? Oh ja, denn es gibt das Recht des Menschen, mit gut erfundenen Geschichten versorgt zu werden.“

Liessmann wird gern ins konservative Eck gestellt. Dagegen hat er sich gerade, in der „Wiener Zeitung“, damit verteidigt, dass es Dinge gebe, die es wert seien, bewahrt zu werden: „Fraglich, ob diese Ansicht an sich verabscheuungswürdig ist. Wer etwa die repräsentative Demokratie, die Freiheit des Individuums, die Meisterwerke der Vergangenheit und die kulturellen Überlieferungen indigener Völker für erhaltenswert hält, ist in diesen Belangen zweifellos konservativ. Doch es muss darüber diskutiert werden, was, nach dem zynischen Wort Mephistos, wert ist, dass es zugrunde geht, und was, wenigstens eine Zeit lang, Bestand haben sollte.“

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.