Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Geschichtsstunde

Politik / 10.05.2023 • 06:00 Uhr

Langjährige Politikbeobachter haben dieser Tage wohl ein Déjà-vu. So nennt sich das Gefühl, alles schon einmal erlebt zu haben. Blenden wir zurück ins Jahr 2013: SPÖ und ÖVP retten sich gemeinsam bei der Nationalratswahl knapp über die 50-Prozent-Marke. Bundeskanzler Werner Faymann (der SPÖ-Spitzenkandidat fährt einen Verlust von 2,4 Prozentpunkten ein) und sein Vize Michael Spindelegger (verantwortet mit seiner „Entfesselung“ für die ÖVP ein etwas geringeres Minus) verkünden den Fortbestand der Großen Koalition, die sich längst den Namen „Stillstands- und Verliererkoalition“ erarbeitet hatte.
Als Folge schoss die FPÖ mit Heinz-Christian Strache auf Platz 1 der Umfragen, obwohl der Skandal um die marode Kärntner Landesbank Hypo Alpe Adria gerade seinen Höhepunkt erreichte. Erst Sebastian Kurz beendete 2017 den Umfragehöhenflug der Freiheitlichen. Mit inzwischen bekannt untauglichen und wenig nachhaltigen Methoden.
Gelernt haben die Parteien aus der Vergangenheit wenig. Mit Nostalgie werden sie wohl auf die geringen Verluste von damals zurückblicken. Landtagswahlen und Umfragen lassen vor allem für Regierende heute Schlimmeres befürchten. Ansonsten flüchten sich die Koalitionsparteien in Gipfelaktionismus, bei dem Bilder von nutzlos geparktem Expertenwissen mit inhaltsleeren Ankündigungen kombiniert werden. Oder sie verschwinden gleich ins Ausland und täuschen Tatkraft bei Umarmungen von Staatsführer(innen) oder Firmenbesichtigungen vor. Die Österreicher und alle in Österreich lebenden Menschen sind für die Politik hingegen fremde Wesen geworden. Selbst die eigenen Mitglieder lassen die SPÖ am letzten Tag ihrer Befragung völlig im Dunkeln tappen.

„Die Koalitionsparteien flüchten sich in Gipfelaktionismus, eine Kombination aus nutzlos geparktem Expertenwissen mit inhaltsleeren Ankündigungen.“

Die Bevölkerung scheint aber ebenso wenig aus ihren Erfahrungen lernen zu wollen. Denn sie wünscht sich ein Rundum-Sorglos-Paket bei unmöglichen Rahmenbedingungen. Laut Umfragen ist die FPÖ die beliebteste Partei, die Ampel mit SPÖ, Grüne und Neos aber die gewünschte Regierung und die EU taugt höchstens als Sündenbock. Die vollmundigen, aber realitätsfernen Versprechen der FPÖ treffen auf tosenden Applaus, Bedenken wegen Kosten und rechtlichen Rahmenbedingungen werden mit Schulterzucken zur Kenntnis genommen. Anstelle von Kompetenz und Ernsthaftigkeit wird auf Volksnähe und Mehrheitsgefühl gesetzt.
„Lernen S‘Geschichte“ grantelte Bruno Kreisky gegen Ende seiner Karriere einem lästigen Journalisten entgegen und umschiffte so dessen unangenehme Frage. So einfach kommen Politiker heute nicht mehr davon. Das Volk grantelt mit ihnen, egal mit wie vielen Arbeitskreisen sie sich umgeben oder in welche Länder sie sich flüchten.

FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.