Absehbare Stichwahl in der Türkei

Politik / 26.05.2023 • 22:57 Uhr
Wahlwerbung von Erdogan-Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu bedeckt eine Wand in Istanbul. Sein Sieg wäre aber eine große Überraschung.Reuters
Wahlwerbung von Erdogan-Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu bedeckt eine Wand in Istanbul. Sein Sieg wäre aber eine große Überraschung.Reuters

Internationale Beobachter bekritteln unfaire Bedingungen im Wahlkampf.

Ankara Die Spannung hält sich in Grenzen. Am Sonntag entscheidet sich in einer Stichwahl, wer Präsident der Türkei bleibt oder wird. Politische Beobachter räumen dem sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu aber wenig Chancen ein, sich letztlich gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan durchzusetzen.

In der ersten Runde der Präsidentenwahl vor zwei Wochen verfehlte Erdogan die absolute Mehrheit nur knapp. Er erhielt rund 2,5 Millionen Stimmen mehr als sein Herausforderer, trotz zahlreicher Probleme im Land wie etwa einer Währungskrise. Internationale Beobachter bewerten die Abstimmung als grundsätzlich frei, bemängelten aber einen unfairen Wahlkampf.

Ogan unterstützt Erdogan

Die Opposition will den Unterschied nun aufholen – Beobachtern zufolge ein schwieriges Unterfangen. Der Drittplatzierte Rechtsaußenkandidat Sinan Ogan hat sich inzwischen hinter Erdogan gestellt. Inwieweit seine Wähler der Empfehlung folgen, ist unklar, Ogan hatte vor allem Protestwähler auf sich gezogen. Dass das Verhalten der nationalistischen Wähler den Wahlausgang bestimmt, gilt aber als ausgemacht. “Der Nationalismus ist der steigende Trend in der Türkei”, sagt Hürcan Asli Aksoy vom Centrum für Türkeistudien CATS. Ein Phänomen, das auf der ganzen Welt zu beobachten sei.

Aber auch das hat Erdogan einhegen können: Die Wähler verpassten ihm zwar eine Art Dämpfer – Erdogans islamisch-konservativer AK-Partei fuhr bei der Parlamentswahl mit rund 35 Prozent das schlechteste Ergebnis seit ihrer Gründung 2002 ein. Die Stimmen wanderten Beobachtern zufolge aber nicht zur Opposition ab, sondern etwa zur ultranationalistischen MHP, mit der die AKP seit 2015 im Bündnis regiert. Aus der Wahl sei das nationalistischste Parlament in der Geschichte der Türkei hervorgegangen, so Aksoy. Nationalisten säßen in allen Lagern.

Kilicdaroglu versucht, mit einer Sechser-Allianz aus Parteien unterschiedlicher Lager zu punkten. Er erhält zudem Unterstützung von der prokurdischen HDP. Doch seine Politik der gesellschaftlichen Versöhnung über Identitätsgrenzen hinweg ist vorerst gescheitert. Kilicdaroglu reagierte auf diese Erkenntnis mit einer Kehrtwende im Wahlkampf. Statt versöhnlicher schlägt er nun scharfe Töne an, vor allem gegen Flüchtlinge. Eine kleine rechtsnationale Partei unterstützt ihn nun in der zweiten Runde – das könnte kurdische Wähler frustrieren.

Medien dominiert

Erdogan habe von ihm dominierte Medien zudem dazu genutzt, die Opposition so darzustellen, als unterstützte sie Terroristen. Erdogan zeigte sogar ein manipuliertes Video. Die Opposition komme kaum in den Medien vor, bemängeln internationale Wahlbeobachter, und wenn, dann negativ. Der regierungsfreundliche Sender “A Haber” hielt es nicht mal für nötig, Kilicdaroglus Namen zu nennen, sondern bezeichnete ihn kürzlich schlicht als “der andere Kandidat”.