Warnsignale aus Frankreich

Politik / 13.07.2023 • 22:28 Uhr

Ich schreibe diese Zeilen aus Frankreich, unterwegs von London in die Schweiz. Von den jüngsten Unruhen – wir haben die Schreckensbilder von brennenden Vororten, plünderndem, gewaltbereitem Mob und abgefackelten Autos in allzu lebhafter Erinnerung – ist auf der Fahrt durch die sommerliche-idyllisch „Campagne“ nichts zu bemerken. Frankreich ist scheinbar zur Ruhe gekommen. Das Einzige, was auffiel, war die fast leere Fähre über den Ärmelkanal: Die Reisewarnungen wurden offenbar erst genommen. Aber Frankreich ist eine Warnung – nicht nur für Touristen.

Linke Parteien propagieren die „postmigrantische Gesellschaft“, in welcher die bisherige Mehrheitsgesellschaft ihre Dominanz eingebüßt bzw. aufgegeben hat und in der die „Leitkultur“ ständig neu ausgehandelt wird. In den tristen Vorstädten Frankreichs ist diese neue Gesellschaftsform längst angebrochen. Die Großeltern jener, die heute randalieren und selbst vor Mord nicht zurückschrecken, sind einst dankbar und demütig aus Nordafrika immigriert – in der Hoffnung, hier ihren Traum von einem besseren Leben zu erfüllen. Und nicht in ihren kühnsten Vorstellungen hätten sie je geahnt, dass die Enkel in ihrer Frustration und Hoffnungslosigkeit das ersehnte Gastland in einem Rausch entfesselter Gewalt zerstören.

Aber auch in Österreich schrillen Warnsignale: Als ob dieser Republik der bedrohlich wachsende Antisemitismus von rechts und links (hier notdürftig kaschiert als „Antizionismus“) nicht schon genug zu schaffen macht, wurde mit den nahöstlichen Migranten ein neuer, womöglich noch gefährlicherer Antisemitismus importiert. Im April wurde der neueste Antisemitismusbericht des österreichischen Parlaments publiziert – und dessen Ergebnisse kann man nur als erschreckend qualifizieren. Nationalratspräsident Sobotka spricht von Migranten, die aus Ländern zu uns gekommen sind, „wo Antisemitismus oder antijüdische Haltungen zu einer Art Staatsräson zählen“. Tatsächlich meinen die türkisch- und arabischsprachigen Befragten mehrheitlich, dass Juden heutzutage Vorteile aus ihrer Verfolgung und Ermordung unter dem NS-Regime beziehen und dass in den Berichten über den Holocaust „vieles übertrieben dargestellt“ wurde. Eine Mehrheit meint zu wissen, dass Juden die internationale Geschäftswelt beherrschen. Noch schockierender ist jedoch, dass derartige antisemitische Überzeugungen bei alteingesessenen Migranten aus der Türkei und arabischen Ländern deutlich stärker sind als bei den Neueinwanderern. Offenbar hat in Österreich die Integrationspolitik in der Vermittlung demokratischer und menschenrechtlicher Grundwerte dieser Republik kläglich versagt.

Charles E.
Ritterband

charles.ritterband@vn.at

Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).