Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Fake News

Politik / 01.08.2023 • 06:29 Uhr

„Zwei mal drei macht vier und drei macht neune, ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Bereits 70 Jahre vor Donald Trump beschrieb Astrid Lindgrens Romanfigur Pippi Langstrumpf ziemlich genau das Phänomen alternativer Fakten. Diese Beschreibung beliebiger Umdeutung von Tatsachen wurde von Trumps Wahlkampfleiterin in die politische Diskussion eingeführt und hat seither viele sachliche Diskussionen ad absurdum geführt. Ging es bei Trump zunächst bloß um die Zahl von Zusehern bei seiner Amtseinführung und später um einen angeblich von Joe Biden gestohlenen Wahlsieg, sind andere davon überzeugt, dass Corona eine bloße Erfindung der Pharmaindustrie war oder die Erde eine Scheibe ist. Wer einen derart festen Glauben an etwas hat, braucht natürlich keine „echten“ Fakten, es genügen „alternative“.

„Durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz wird sich dieses Problem gravierend verschärfen.“

Zwillingsschwestern alternativer Fakten sind Fake News. Sie unterscheiden sich hauptsächlich dadurch, dass sich der Urheber bewusst ist, etwas Falsches in die Welt zu setzen – die Verfälschung ist bloßes Mittel zum Zweck, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Zu besonderer Perfektion wurde diese Beeinflussungsmaschinerie schon früher vor und in kriegerischen Auseinandersetzungen getrieben. Bekanntes Beispiel ist der von Hitler inszenierte und zum Anlass für den Zweiten Weltkrieg genommene angebliche Überfall auf den Sender Gleiwitz – verübt von Nazis in gestohlenen polnischen Uniformen. Und beim russischen Überfall auf die Ukraine und deren Gegenwehr müssen Medienberichte häufig mit dem Hinweis versehen werden, dass sich der Wahrheitsgehalt nicht überprüfen lasse. Durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz wird sich dieses Problem gravierend verschärfen, aber andererseits auch verbesserte Möglichkeiten der wenigstens nachträglichen Überprüfung liefern, siehe z. B. die Fortschritte bei der Entdeckung von Plagiaten.

Spektakulär war die allerdings schon lange Zeit zurückliegende Aufklärung zweier historisch bedeutsamer Fake News. Die Urkunde, mit der Kaiser Konstantin 315 die Westhälfte des römischen Reiches dem Papst übertrug (und damit die Grundlage des Kirchenstaates schuf) war eine glatte Fälschung. Und auch die als Privilegium Maius bekannte Urkundensammlung, mit der bessere staatsrechtliche Grundlagen der habsburgischen Länder im römisch-deutschen Kaiserreich beurkundet wurden, stammte zumindest teilweise aus einer Fälscherwerkstatt.

Man sieht: Alles schon da gewesen. Waren derartige Fake News früher allerdings nur wenigen Mächtigen vorbehalten, sind die Möglichkeiten heute breit gestreut. Ob die Fähigkeiten, damit kritisch umzugehen, ebenso schnell wachsen, bleibt eine spannende Frage.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.