Die Welt in Pink
Ein italienisches Städtchen, kurz vor Mitternacht: Mädchen, zwischen 3 und 18 Jahren, alle in Pink, tanzen wild auf der abgesperrten Straße. Die Rosa Revolution hat längst auch Italien erreicht, seit der Film dort am 20. Juli in die Kinos gekommen ist. Das weltweite Barbie-Fieber greift um sich. Der Film hat die Milliarden-Dollar-Marke überschritten – und umgehend zu einer Wortschöpfung geführt, die zum Begriff des Jahres werden könnte: „Barbillion“. Die Einnahmen an den Kinokassen weltweit hätten, wie die Warner-Brothers-Manager Goldstein und Cripps zugeben, ihre optimistischsten Erwartungen übertroffen. Der globale Hype um Barbie wurde dadurch noch gesteigert, dass dieser Film gleichzeitig mit und bewusst als bonbonfarbener Kontrast zum historisch-ernsten Dreistünder „Oppenheimer“ lanciert wurde: Auch der Begriff „Barbenheimer“ geistert durch Hollywood.
Weshalb der „Barbie“-Hype? Die Gründe liegen auf der Hand: Ukraine-Krieg, Teuerung, Armutsängste, Befürchtungen um einen nuklearen Dritten Weltkrieg. Da bietet sich die heile rosarote Welt der Barbie als Flucht in die Idylle geradezu an. Dennoch: Für manche überdurchschnittlich empfindsame Nationen ist ausgerechnet „Barbie“ politisch heikel und ruft die Zensur auf den Plan. Namentlich Vietnam, das genau hingeguckt und eine Weltkarte geortet hat, auf welcher die „nine-dash-line“ aufscheint, mittels welcher China seine territorialen Ansprüche gegen Vietnam in der South China Sea behauptet. Kuwait, Libanon und Algerien haben moralische Bedenken. Und in den USA finden die Ultrakonservativen den Film zu feministisch, zu „woke“, zu „queer“ und Religion wie Familie kämen darin zu kurz. So wurde der scheinbar so unpolitische Streifen doch noch zum Politikum.
Die „Barbie“ der Regisseurin Greta Gerwig ist eine pinke Plastikutopie, in der das Matriarchat herrscht – bis die Welt der Barbie (Margot Robbie) angesichts von Spuren von Cellulitis und Plattfüßen zusammenbricht. Sie wird, um ihre Welt zu retten, auf Mission in die „Realität“ entsandt – und das ist das Patriarchat. Das Selbstbewusstsein ihres Reisebegleiters (Ryan Gosling), der bislang eher unmännlich in Erscheinung trat, lebt auf. Wie feministisch ist „Barbie“? Sie war 1959 die erste an Mädchen vermarktete Puppe, die kein Baby darstellte und ihnen daher keine Mutterrolle aufnötigte. Deren Erfinderin, Ruth Handler, erklärte, Barbie verkörpere die Tatsache, dass die Frau die Freiheit der Wahl habe – was in der patriarchalen Welt der 60er-Jahre Unbehagen verursachte. Barbie schlug nicht weniger als 200 Karrieren ein – von der Präsidentschaftskandidatin bis hin zur Astronautin. Doch sie war weiß und hatte eine (praktisch unerreichbare) Traumfigur: Die erste nicht-weiße Barbie kam in den 60er-Jahren auf den Markt und die erste Barbie im Rollstuhl 30 Jahre später. Und realistische Körpermaße erhielt sie als „Curvy Barbie“ erst vor sieben Jahren.
Charles E.
Ritterband
charles.ritterband@vn.at
Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).