Der amerikanische Prometheus
Nach der harmlos-dümmlichen „Barbie“ schaute ich mir den zugleich in den Kinos angelaufenen „Oppenheimer“ an. Der Protagonist, der amerikanische Atomphysiker Robert Oppenheimer, der „Vater der Atombombe“, erkennt zunehmend die immense Tragweite des von ihm geleiteten „Manhattan Project“ in dem aus der Wüste von New Mexico gestampften Ort Los Alamos. Am 16. Juli 1945, nachdem dort der erste Atombomben-Test unter dem Code-Namen „Trinity“ erfolgreich durchgeführt worden war, hatte Oppenheimer jenen Sanskrit-Vers aus der Selbstbeschreibung des hinduistischen Gottes Krishna zitiert: „Wenn das Licht von tausend Sonnen am Himmel plötzlich bräch hervor (…) bin ich der Tod geworden, Zertrümmerer der Welten“. Der Film endet auch mit der apokalyptischen Schreckensvision totaler Vernichtung.
Albert Einstein hatte sechs Jahre zuvor mit seinem warnenden Brief an den damaligen Präsidenten Franklin D. Roosevelt nachhaltig in den Gang der Weltgeschichte eingegriffen: Nazideutschland, dem unter Otto Hahn 1938 die erste Kernspaltung gelungen war, und das an der Entwicklung einer „Wunderwaffe“ mit verheerenden Auswirkungen arbeitete, sollten die USA zuvorkommen. Roosevelt bewilligte Milliarden für das Forschungsprojekt. Dessen Nachfolger Harry S. Truman brachte die Waffe erst- und letztmals in Hiroshima und Nagasaki zum Einsatz: drei Monate, nachdem Deutschland vernichtend geschlagen war und, wie Historiker argumentieren, weniger, um Japan ebenfalls zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, vielmehr als Warnsignal gegenüber der Sowjetunion in Bezug auf die Gestaltung des Nachkriegseuropa. Oppenheimer, der erfolglos Widerstand gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe („Super“) geleistet und diese als militärisch nutzlose „Waffe zum Völkermord“ bezeichnet hatte, starb verbittert 1967. Einstein, der nicht direkt an der Entwicklung der Atombombe beteiligt war, fühlte sich mitschuldig am Tod Hunderttausender Japaner und nannte kurz vor seinem Tod 1955 jenen Brief an den US-Präsidenten den „Fehler seines Lebens“.
Das nukleare Wettrüsten, im Kalten Krieg durch Abrüstungsverträge, das „Gleichgewicht des Schreckens“, die Androhung „massiver Vergeltung“ und der als „MAD“ (Mutually Assured Destruction) bekannten Doktrin noch in Grenzen gehalten, geht ungehemmt weiter. Die Doomsday Clock zeigt 90 Sekunden vor Mitternacht – die Gefahr einer atomaren Konfrontation erscheint ungleich virulenter als in der Kuba-Krise 1962: Statt einer, dann zwei, gibt es inzwischen neun Nuklearmächte, deren rationales Handeln und Berechenbarkeit weit geringer erscheinen als bei den „Cold War“-Akteuren USA und UdSSR. Das Bemühen um Transparenz bei den Großmächten ist vermehrter Geheimhaltung gewichen. Putin ersetzt konventionelle Unterlegenheit durch nukleare Drohgebärden – und China ist bemüht, mit den USA und Russland gleichzuziehen.
Charles E.
Ritterband
charles.ritterband@vn.at
Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).