„Flächenbrand unwahrscheinlich“

Nahost-Experte Schmidinger: Hamas hat auch unter Palästinensern politische Feinde.
SCHWARZACH. „Dass es in Gaza gärt und nicht ruhig bleiben wird, war absehbar, aber die Massivität dieses Angriffs der Hamas am vergangenen Samstag war für alle überraschend, besonders für die Israelis selber. Es muss ja eine lange Vorbereitungszeit mit hunderten Involvierten gegeben haben. Das ist ihren Sicherheitsbehörden entgangen“, sagt der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger: „Ich hätte sie für besser gehalten.“
Wie es dazu kommen konnte, wird irgendwann untersucht werden. Jetzt konzentriert sich Israel auf den Krieg und das Ziel, die terroristische Hamas in Gaza zu zerschlagen.

Thomas Schmidinger ist Islamismus- und Nahost-Experte. Im VN-Gespräch nimmt der gebürtige Feldkircher eine Einordnung vor: Kann sich dieser Krieg ausweiten? „Es ist unwahrscheinlich, dass es zu einem Flächenbrand in der Region kommt, an dem ganze Nachbarstaaten Israels beteiligt sind“, erklärt der 49-Jährige unter Vorbehalt: Es sei schwer abschätzbar, was Geschehnisse in Gaza auslösen könnten. Bilder von Opfern werden auch in Ländern wahrgenommen werden, die Palästinenser nahestehen.
„Iran war in Vorbereitungen definitiv involviert“
Zum Beispiel im Iran, wo die Führung Israels schon jetzt droht. Wie weit ist das Mullah-Regime jedoch bereit zu gehen? „Der Iran ist bereit, gegen Israel zu kämpfen“, analysiert Schmidinger. „Aber nicht als Iran. Er war definitiv in die Vorbereitungen der Hamas auf das Massaker involviert.“ Er lässt also machen: „Selbst wäre er weder bereit noch in der Lage, die israelische Staatlichkeit zu zerstören.“
Aus Syrien kamen in den vergangenen Tagen Berichte über israelische Angriffe auf Flughäfen: „Von syrischer Seite wird aber keine Aggression gegen Israel ausgeübt. Das scheint mehr oder weniger ruhig zu bleiben“, so Schmidinger.

Die größte Bedrohung neben der Hamas scheint vorerst die Hisbollah-Miliz darzustellen. Sie ist im Libanon, also nördlich von Israel, tätigt und warnt: „Wenn sie (die Israelis; Anm.) Gaza angreifen, werden wir voll in diesen Krieg eingreifen.“
Unter Palästinensern insgesamt ist die Hamas laut Schmidinger nicht unumstritten. Im Gegenteil: „Innerhalb der politischen Landschaft gibt es große Verwerfungen. Die Realität in der Westbank (Westjordanland) ist eine andere als im Gazastreifen. Es ist nicht so, dass dort alles gut ist, aber besser als im Gazastreifen. Dort regieren die politischen Feinde der Hamas.“

Im Gazastreifen selbst, wo mehr als zwei Millionen Menschen leben, ist die Hamas hingegen dominant. Bei Wahlen hat sie in einem Bündnis mit anderen, die den sogenannten Oslo-Prozess zur Lösung des Nahostkonflikts ablehnten, eine absolute Mehrheit erreicht. „Das war aber 2006, und seither wurde nicht mehr gewählt“, betont Schmidinger. „Herrschaft funktioniert auf Dauer aber nicht nur durch Repression. Das spricht dafür, dass sie de facto als Staatsmacht von einem substanziellen Teil der Bevölkerung unterstützt wird.“ Zu einer gewissen Popularität beigetragen habe, dass es ihr gelungen sei, gegenüber der eigenen Bevölkerung Israel für die schlechte humanitäre Lage in Gaza verantwortlich zu machen.