Eine Pandemiebewältigung auf dem Prüfstand

Ergebnisse des „Corona-Aufarbeitungsprozesses“ der Bundes-regierung liegen vor. An den Fokusgruppen waren auch 34 Vorarlbergerinnen und Vorarlberger beteiligt.
Wien, Bregenz Irgendwann im Herbst dieses Jahres trafen sich 34 Vorarlbergerinnen und Vorarlberger in Feldkirch. Diese 34 Menschen haben stundenlang diskutiert. Über die Pandemie und ihre Eindrücke in den letzten Jahren. 34 Menschen, die Teil des Projekts „Österreich am Wort“ waren und deren Eindrücke in den Corona-Aufarbeitungsprozess der Bundesregierung flossen. Nun liegen die Empfehlungen und Erkenntnisse aus dem Rückblick auf Corona vor.
„Vertrauen in Vernunft und Mündigkeit“
Mit „Krise ist kein Wahlkampf“ fasste eine Teilnehmerin der Fokusgruppe ihre Position zusammen. Die Person fordert für die nächste Krise eine Expertenregierung, die unparteiisch arbeitet, eine Art Weisenrat. Dieser solle dann ohne ideologische Auseinandersetzungen und ohne Parteienstreit für sachlich begründe Entscheidungen sorgen. 71 solcher Empfehlungen „aus dem Volk“ liegen vor. Ein anderer Teilnehmer der Fokusgruppe forderte von der Politik, auf Augenhöhe durch die Krise zu führen: inklusive „Vertrauen in Vernunft und Mündigkeit der Bevölkerung, gute Entscheidungen für sich und andere zu treffen“.

Eine Institution in diese Richtung fordert auch Public-Health-Experte Armin Fidler, der Vorarlberg in der Corona-Kommission vertrat: „Man hätte von Anfang an ein multidisziplinäres Team zusammenstellen müssen, das sich auf konkrete Empfehlungen einigt und nach außen mit einer Stimme spricht.“ Darin hätten natürlich Virologen, aber auch Expertinnen aus der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaft vertreten sein sollen: „Das Problem war, dass viele Experten nur aus der Tunnelsicht ihrer Fachrichtung berichtet haben. Natürlich sollte man aus virologischer Sicht weiter jede Infektion vermeiden, aber um welchen Preis?“
Die Sichtweise der bundesweit 319 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Dialogprozess hat sich dadurch zwar nicht groß verändert – mehr als 50 Prozent gaben an, weiter dieselbe Meinung wie vor der Veranstaltung zu vertreten. Verändern soll sich aber die Herangehensweise an die nächste Krise, an die nächste Pandemie. „Mit dem Wissen von heute würden wir vieles anders machen“, sagte etwa Bundeskanzler Karl Nehammer bei der Präsentation des Berichts.

Und Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher schreibt in einer Stellungnahme für die VN, dass die Aufarbeitung wesentlich sei, um für die Bewältigung künftiger Gesundheitskrisen gerüstet zu sein: „Die Ergebnisse sind eine weitere Grundlage, um Vorarlberg auf ähnliche Situationen vorzubereiten, und werden in den jeweiligen Ressorts aufgenommen.“
Was ist hängen geblieben?
Darüber, ob das in der nächsten Krise dann auch tatsächlich gelebt wird, ist Fidler aber unsicher: „Ich frage mich schon ein wenig, was wirklich hängen geblieben ist“, sagt der 65-Jährige im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten: „Man hat alles wieder vernichtet, was eigentlich weiter sinnvoll wäre: etwa kostenlose Tests oder einen niederschwelligen Zugang zur Impfung. Weil es halt einen Haufen rechtsgerichteter Schwurbler gibt, die man nicht weiter vergraulen will.“
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In eine ähnliche Kerbe schlägt Soziologe Alexander Bogner, der aufseiten der Akademie der Wissenschaften das Projekt betreute: Politische Zielkonflikte seien offen ausgetragen worden, etwa bei der zunächst beschlossenen und dann wieder abgeschafften Impfpflicht. Und einen gesellschaftlichen Konsens wie zu Beginn der Pandemie, als sogar noch die FPÖ die Maßnahmengesetze im Parlament mitbeschloss, könne man eben nicht ewig aufrechterhalten, sagt Bogner. Aus all dem schließt die Politik, dass die Krisenresilienz erhöht werden müsse: Es soll ein Konzept für Krisenkommunikation und Maßnahmen gegen Wissenschaftsskepsis setzen. Die Empfehlungen im Bericht richten sich aber nicht nur an die Politik, sondern auch etwa an die Medien und die Bevölkerung selbst. Also auch an die 34 Mitglieder der Fokusgruppe.
Ausgewählte Aussagen der 34 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Dialogprozess „Österreich am Wort“ in Feldkirch:
Empfehlung an die Bevölkerung: „Zusammenhalt statt Spaltung: Entscheidungen von anderen respektieren und akzeptieren; Offenheit für andere Meinungen und Bereitschaft zuzuhören; sich trotz unterschiedlicher Meinungen durch die Krise helfen; Gemeinsamkeiten voranstellen und auch an andere denken; Medienkompetenz stärken (lernen).“
Empfehlung an die Wissenschaft: „Unabhängige, interdisziplinäre Ratgeber*innen: Zusammenarbeit mit anderen Expert*innen (insbesondere aus betroffenen Berufsgruppen) → breit aufgestellte, interdisziplinäre Teams; transparente, begründete & unabhängige Entscheidungsfindung → Nachvollziehbarkeit, insbesondere in einfacher Sprache – auch mehrsprachlich; Quellenangaben (Qualifikation, Abhängigkeiten).“
Empfehlung an die Politik: „Krise ist kein Wahlkampf: keine Panikmache: Vertrauen durch Fakten; gemeinsames Auftreten: Diskussionen intern führen; Transparenz: Förderungen, nicht Gießkannenprinzip → Forschungsgelder veröffentlichen, Krisenmaßnahmen → Krisenpartei – Kernteam mit Vertretern aller Parteien gründen → aktueller Stand informieren & weitere Maßnahmen.“
Empfehlung an die Medien: „Kontextualisierung von Nachrichten: Die Leser benötigen Kontext zu den Informationen, die sie bekommen; öffentliche Quellen sollten genannt werden; kontroverse Meinungen sollten nicht überproportional vertreten sein; die Kontroversen sollten aufgezeigt werden.“