Einem politisch turbulenten Jahr folgt das Superwahljahr

Politik / 29.12.2023 • 16:40 Uhr
Im Wahllokal wartet zwar die Urne - sie hält aber die Demokratie am Leben. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Im Wahllokal wartet zwar die Urne - sie hält aber die Demokratie am Leben. VN/Paulitsch

Europawahl, Nationalratswahl, Landtagswahl: Im kommenden Jahr werden die Wählerinnen und Wähler des Landes häufig zu den Urnen gerufen. Um zu wählen und je nach Parteipräferenz danach zu trauern oder feiern.

Schwarzach Wenn Medien im kommenden Jahr etwas über einen Urnengang schreiben, dann ist die Chance groß, dass sich der Bericht nicht um eine Beerdigung dreht. Der Urnengang ist unter Journalisten eine beliebte Floskel für Wahlen. Und Wahlen stehen im kommenden Jahr genug an. Es wartet also ein turbulentes politisches Jahr auf Österreich und Vorarlberg. Wobei: Auch der Blick zurück lässt an Turbulenz nichts vermissen.

Einem politisch turbulenten Jahr folgt das Superwahljahr

Die Bundespolitik startete staatsmännisch ins neue Jahr. Am 26. Jänner ist Alexander Van der Bellen zu seiner zweiten Amtszeit angelobt worden. Kurz darauf wanderten Menschen erstmals an jene Urnen, die mit Stimmzettel statt Asche gefüllt werden. Am 29. Jänner wählten die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher ihren neuen Landtag. Die ÖVP verlor, die FPÖ siegte – Schwarz-Blau regierte. Trotz gegenseitiger Koalitionsabsage vor der Wahl. Drei Monate später in Salzburg ein ähnliches Bild. Regierende ÖVP verliert, oppositionelle FPÖ gewinnt, beide arbeiten seitdem zusammen, obwohl das von der ÖVP zuvor ausgeschlossen wurde.

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Die ÖVP erklärt die Niederlagen auch mit der Stimmung gegenüber der schwarz-grünen Bundesregierung. Das Gegenargument findet sich in der Urne des 5. März. SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser muss bei der Landtagswahl massive Verluste einstecken. Im Bund befindet sich die SPÖ bekanntlich in der Opposition.

Wer weiß, ob das Debakel des SPÖ-internen Urnengangs am 3. Juni die Kärntner Landespartei ins oppositionelle Grab befördert hätte, wäre die Wahl danach gewesen. Am 3. Juni wählte die SPÖ Andreas Babler zum neuen Parteivorsitzenden. Das wussten die Sozialdemokraten allerdings erst zwei Tage später, denn der Urneninhalt – die Stimmzettel – sind in eine falsche Exceltabelle eingetragen worden. Zwei Tage lang fühlte sich Hans-Peter Doskozil als Parteichef.

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Der Spott der anderen Parteien war gewiss – doch Karma kann ein gemeiner Zeitgenosse sein. ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat sich auf einer ÖVP-internen Veranstaltung dazu hinreißen lassen, etwas salopp über Armut zu sprechen. Kein Kind in Österreich müsse auf eine warme Mahlzeit verzichten, ein Burger bei McDonald’s könne sich jeder leisten, meinte er sinngemäß. Ein Parteifreund stellte das Video online, Aufmerksamkeit erhielt es aber erst im Herbst. “Burger-Gate” war geboren.

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Im kommenden Herbst wird gewählt: Nationalrat und Landtag in Vorarlberg. Politikwissenschaftler Peter Filzmaier glaubt nicht, dass diese zwei Debakel bei den kommenden Urnengängen zu Totengräbern der ÖVP und SPÖ werden. “Man muss unterscheiden, was im Jahr 2023 zu berechtigtem Spott geführt hat und 2024 ein tatsächliches Wahlmotiv ist. Die Schlüsselfrage ist nicht, ob die SPÖ bis 603 zählen kann oder der angeblich so staatsmännische Kanzler etwas über Burger gesagt hat. Die Schlüsselfrage aus Sicht der Wähler lautet: Geht es mir wirtschaftlich und sozial subjektiv schlechter oder besser als 2019, als zuletzt gewählt wurde?” Wenn mehr Menschen als 2019 der Meinung sind, ihnen ginge es schlechter, dann wäre das eine schlechte Nachricht für Bundeskanzler und Landeshauptleute.

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In Vorarlberg haben sich vergangenes Jahr auch einige Parteien mit ihren Urnen beschäftigt – ebenfalls nicht als Ende, sondern im Sinne eines Neubeginns. Die Neos wählten am 4. Februar Claudia Gamon zu ihrer neuen Parteichefin. Die SPÖ ließ am 7. Oktober Mario Leiter zum Vorsitzenden küren. Dazwischen verkündete Landeshauptmann Markus Wallner von der ÖVP, dass er wieder antreten wird. Ihm könnten noch einige Themen einen gemütlichen Wahlkampf verderben. Die Wirtschaftsbundaffäre ist für ihn persönlich zwar ausgestanden, gegen Wallner wird nicht mehr ermittelt. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Feldkirch und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Sache insgesamt dauern aber an. Das Thema könnte vor den Wahlen also noch einmal eine Rolle spielen.

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Im August 2023 berichtete der Standard erstmals über den Siemens/KHBG-Skandal. Mitarbeiter verschiedener Unternehmen – unter anderem der Bauabteilung der Krankenhausbetriebsgesellschaft – sollen sich jahrelang über Scheinrechnungen ein Zubrot verdient haben. Im Zentrum stand ein Manager der Siemens-Niederlassung in Bregenz. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Ermittlungen laufen, im Wahljahr könnte sich herausstellen, ob der Skandal auf die KHBG zurückfällt, einem landesnahen Unternehmen in der Verantwortung des ÖVP-geführten Ressorts von Landesrätin Martina Rüscher. Die Abtreibungsfrage hat sie noch im Oktober klären können, Wallner muss sich also nicht vor diesem Wahlkampfthema fürchten.

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In aktuellen, allerdings nur parteiinternen Umfragen liegt die Landes-ÖVP unter den 43 Prozent von 2019. “Jetzt kann man darüber philosophieren, welche Rolle der Wirtschaftsbund oder der doppelte Kanzlerrücktritt daran hat. Der Schaden ist da. Die Frage ist nur: Kann sich die ÖVP noch erholen?”, erläutert Peter Filzmaier. Ihr Glück: Erster dürfte sie bleiben, sagt der Politikwissenschaftler. Rechnerisch ginge sich dann zwar eine Mehrheit gegen die ÖVP aus, dass eine SPÖ oder die Grünen mit der FPÖ Wallner stürzen, ist allerdings kaum denkbar. “Im Bund ist eine Mehrheit gegen die ÖVP hingegen eher möglich”, sagt Filzmaier.

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Eines steht fest: In Vorarlberg wird es im Jahr 2024 keinen Wirtschaftsbund-Untersuchungsausschuss geben. Die Parteien haben die Reform zu Grabe getragen. Man war sich zwar in zwölf von 13 Punkten einig, der Opposition war das aber zu wenig. In Wien haben die Parteien hingegen richtig Freude an Untersuchungsausschüssen gefunden. Nach dem Ibiza- und ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss sollen im kommenden Jahr gleich zwei Ausschüsse folgen. SPÖ und FPÖ möchten die Cofag-Hilfen untersuchen, die ÖVP möchte die Arbeit der Ministerinnen und Minister von SPÖ und FPÖ der vergangenen Jahre prüfen. Filzmaier ist überzeugt: “Beides sind klassische Inhalte für einen Untersuchungsausschuss. Mit einem Schönheitsfehler: Der ÖVP fällt erst 2023 ein, etwas aus dem Jahr 2013 zu untersuchen.” Für ihn werden die Ausschüsse zum Elchtest. “Die Untersuchungsausschüsse müssen in sachlicher Form abgehandelt werden. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass sowieso alle korrupt sind.” Zudem stünden die Ausschüsse im Verdacht, Wahlkampfveranstaltungen zu sein. “Die Zeit wird knapp.” Im Herbst wird gewählt, die Ausschüsse müssen vor dem Sommer fertig sein.

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Klar ist: Die vergangenen Untersuchungsausschüsse sind für das Image der Politik nicht förderlich gewesen. “Wenn das Image der Parteien sinkt, kann man sagen, es ist ihr Problem. Aber wenn wir auch ein Negativimage der Politik und der Demokratie insgesamt sehen, haben wir ein Problem”, warnt Filzmaier. Und das ist die Lehre, die Filzmaier zieht: “Das sollen wir ins neue Jahr mitnehmen. Bei allen politischen Gegensätzen sollte man alles dafür tun, dass sich das Misstrauen in die Demokratie nicht vergrößert.” Damit auch im Superwahljahr trotz Urnengängen in Brüssel, Wien und Vorarlberg die Demokratie nicht beerdigt wird.

Das politische Jahr 2023

26. Jänner: Alexander Van der Bellen wird nach seiner Wiederwahl im Jahr 2022 als Bundespräsident angelobt.

29. Jänner: Die niederösterreichische Landtagswahl endet mit starken Verlusten der ÖVP bei gleichzeitig starken Zuwächsen der Freiheitlichen. Die SPÖ fällt auf einen historischen Tiefstand und Platz drei zurück.

30. Jänner: Der Unabhängige Parteien- und Transparenzsenat stellt fest, dass Inserate im Magazin des Wirtschaftsbundes keine Parteispenden sind.

4. Februar: Claudia Gamon wird zur neuen Landesvorsitzenden der Neos in Vorarlberg gewählt.

16. Februar: Im U-Ausschuss tauchen Akten auf, die zeigen, dass der Vorarlberger Seniorenbund 25.000 Euro Coronaförderung zurückzahlen muss. Im Zuge der Diskussion stellt sich der Seniorenbund neu auf. Um die ÖVP-Tätigkeiten und die Vereinstätigen zu trennen, gibt es jetzt einen “Vorarlberg 50plus” und einen Seniorenbund.

5. März: Bei der Kärntner Landtagswahl verliert die SPÖ massiv, die anderen im Landtag vertretenen Parteien gewinnen dazu, besonders deutlich das Team Kärnten. SPÖ und ÖVP setzen ihre Koalition unter Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) fort.

23. März: Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wird als niederösterreichische Landeshauptfrau wieder gewählt. Der neue Koalitionspartner FPÖ enthält sich dabei der Stimme.

23. März: Der Wirtschaftsbund Vorarlberg legt Beschwerde gegen einen Teil der Steuerrückzahlungen ein.

30. März: Bei einer per Video vorgetragenen Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem Nationalrat fehlt nicht nur die FPÖ, sondern auch die Mehrheit der SPÖ-Abgeordneten.

23. April: Die Salzburger Landtagswahl bringt starke Verluste für die ÖVP, die danach mit den erstarkten Freiheitlichen eine Koalition unter Wilfried Haslauer (ÖVP) eingeht. Die bis dahin mitregierenden Neos fallen aus dem Landtag, in den die KPÖ sensationell mit einem zweistelligen Prozent-Ergebnis einzieht.

11. Mai: Die Arbeitsgruppe zur Reform der Untersuchungsausschüsse in Vorarlberg scheitert. Eine letzte Sitzung bleibt ohne Ergebnis. Die Reform ist wohl gestorben. Ein neuer Anlauf der Neos im Herbst bleibt ohne Erfolg.

22. Mai: Die SPÖ veröffentlicht das Endergebnis ihrer Mitgliederbefragung, das den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil knapp vor dem Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler als Sieger ausweist. Die nur drittplatzierte Amtsinhaberin Pamela Rendi-Wagner erklärt am Tag darauf ihren Rückzug aus der Politik.

23. Mai: Die frühere Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin (ÖVP) wird wegen Bestimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Absprachen schuldig gesprochen und zu 15 Monaten bedingt verurteilt.

3. Juni: Bei einem außerordentlichen Bundesparteitag der SPÖ in Linz wird der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil als Gewinner des Delegiertenvotums ausgerufen. Zwei Tage später stellt sich heraus, dass die Stimmen falsch zugeordnet wurden und Andreas Babler der neue Vorsitzende der Sozialdemokraten ist.

9. Juni: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft stellt in der Wirtschaftsbundaffäre die Ermittlungen gegen Landeshauptmann Markus Wallner und Landesrat Marco Tittler ein.

1. Juli: Corona ist keine meldepflichtige Krankheit mehr.

25. Juli: Der Präsident des Gemeindebunds Alfred Riedl stellt sein Amt ruhend. Er reagiert damit auf Vorwürfe, bei einem Grundstücksdeal in seiner Gemeinde Grafenwörth dank Umwidmungen finanziell profitiert zu haben.

26. Juli: Die Dornbirner Bürgermeisterin Andrea Kaufmann, Präsidentin des Vorarlberger Gemeindeverbands, übernimmt vorübergehend die Agenden von Alfred Riedl an der Spitze des österreichischen Gemeindebundes.

28. Juli: Landeshauptmann Markus Wallner gibt in einem Interview seine Wiederkandidatur als Spitzenkandidat der ÖVP bei der Landtagswahl 2024 bekannt.

3. August: Der Standard berichtet erstmals über den Siemens/KHBG-Skandal. Es kommt zu Razzien und Festnahmen. Kurz vor Weihnachten darf der letzte Beschuldigte die Untersuchungshaft verlassen.

5. Oktober: Die Regierung präsentiert das neue Informationsfreiheitsgesetz, mit dem das Amtsgeheimnis großteils ausgehebelt wird.

7. Oktober: Die SPÖ Vorarlberg wählt in Bregenz Mario Leiter zum neuen Parteivorsitzenden. Damit steht auch der Spitzenkandidat der SPÖ bei der Landtagswahl 2024 fest.

18. Oktober: In Wien beginnt ein Prozess gegen Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen des Vorwurfs der falschen Zeugenaussage vor einem Untersuchungsausschuss. Die mitangeklagte ehemalige Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner kommt mit einer Diversion davon.

20. Oktober: Der ehemalige Spitzenbeamte im Justizministerium Christian Pilnacek stirbt, nachdem ihm in Folge einer Geisterfahrt der Führerschein abgenommen wird, noch in derselben Nacht. Fremdverschulden wird durch eine Obduktion ausgeschlossen.

26. Oktober: Die Landesregierung präsentiert eine Lösung in der Frage, wo in Vorarlberg zukünftig eine Schwangerschaft abgebrochen werden kann. Die Eingriffe finden zukünftig im Landeskrankenhaus Bregenz statt, nachdem sich die ÖVP zuvor lange dagegen ausgesprochen hatte.

21. November: Bund, Länder und Gemeinden unterfertigen den neuen Finanzausgleich, mit dem zwar die Steuermittel wie bisher verteilt werden, Ländern und Gemeinden aber hohe Zuschüsse etwa für Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und Klima-Maßnahmen gewährt werden.