Super-Wahljahr
Das Superwahljahr hat auch optisch bereits begonnen. Die Spitzenkandidaten zur AK-Wahl lächeln von Dreiecksständern und Laternenmasten. Der Schwarze im blauen Hemd, Kickl freut sich. Die rote Kandidatin wünscht sich das „Recht auf einen Hausarzt“. Öha, denke ich mir, seit wann ist die Arbeiterkammer für die ärztliche Versorgung zuständig? Ob das was daran ändert, dass die AK-Wahl in Vorarlberg eher am Volk vorbeigeht (Wahlbeteiligung 2014 und 2019 jeweils 36 Prozent)? Dass unsere Ortsbilder mit Plakaten verschandelt werden, müssen wir heuer vier Mal erdulden. Nach der AK die EU-Wahl, Nationalrats- und Landtagswahl. Für diese hat FPÖ-Spitzenkandidat Bitschi schon jetzt sein Wahlprogramm verkündet und gleich eine von ihm beauftragte Meinungsumfrage dazu, in der die FPÖ, no na, deutlich zulegt. Er ist gegen „die verfehlte Zuwanderungspolitik von Schwarz-Grün“ oder die Einführung der CO2-Steuer „aus rein ideologischen Gründen“. Landtagswahlkampf schon jetzt also vor allem mit Bundespolitik. Ein Wahlkampf im Sog von Kickl, ohne sich um eigene Ideen kümmern zu müssen.
Für die – gemessen an Kompetenzen und Auswirkungen für die Bürger wichtigste Wahl – die EU-Wahl im Juni, zeigen die beiden Regierungsparteien auffallend wenig Interesse. Beide haben noch nicht einmal Spitzenkandidaten. Die ÖVP, weil sie sich nicht mit dem seit 25 Jahren amtierenden Othmar Karas arrangieren konnte. Ist halt unangenehm, wenn sich ein Mandatar gelegentlich kritisch zur Partei äußert, Stichwort Schengen-Veto, und kritisiert, dass sich die einstige Europapartei immer weiter von ihrer Haltung entfernt. Alois Mock und Martin Purtscher würden, wenn sie könnten, Blitze vom Himmel gegen die Parteispitze schleudern. Die Grünen haben ein Kandidat(innen)-Problem, weil Umweltministerin Gewessler, die dafür vorgesehen war, so gar nicht nach Brüssel will, und man sich nicht auf einen Ersatz einigen kann.
Für die Vorarlberg-Wahl möchte die FPÖ „Führungsverantwortung in der Regierung“. Da wird Bitschi doch wohl nicht gleich Landeshauptmann werden wollen, denn das wäre die „Führung“? Aber mitregieren tät er halt gar so gern und rein wahlarithmetisch geht sich vermutlich nicht viel anderes aus, wenn der der ÖVP prophezeite Absturz (in der FP-Umfrage) auf 33 Prozent wirklich kommt. Mit den Grünen wegen der Entfremdung auch nicht und schon gar nicht mit der SPÖ. Noch schwieriger wird die Regierungsbildung im Bund.
Dass die FPÖ als Erste durchs Ziel geht, scheint wahrscheinlich. Dass sie keinen Steigbügelhalter findet, ebenso. Aber was heißt das schon, nach den Wortbrüchen, jeweils ÖVP, von Niederösterreich und Salzburg? Kickl sei ein Sicherheitsrisiko, sagte der Wiener VP-Chef Mahrer. Kann man so sehen, wenn man daran denkt, dass der „Volkskanzler“ Corona mit Wurmmitteln kurieren wollte und als Innenminister im Verfassungsschutz eine willkürliche Razzia durchgeführt hat. Aber es mehren sich in der ÖVP die Rufe nach der „Großen Koalition“. Der Tiroler Landeshauptmann Mattle: „Ein brauchbares Modell.“ So hieß einst die Zusammenarbeit von SP und VP. Jetzt könnte sie sich nicht mehr ausgehen. Aber SP-Chef Babler schließt noch heute eine Koalition mit der ÖVP aus. Er wird laut letzter Umfrage, Sample immerhin 2000 Befragte, vor der ÖVP liegen (FP 26 bis 29, SP 24 bis 26, VP 19 bis 21 Prozent). Jetzt kommen noch zwei U-Ausschüsse, in denen die Fetzen fliegen werden. Und danach wollen die Herrschaften eine Koalition bilden? Da hat der neue Vorarlberger SP-Chef Mario Leiter recht. Im ORF: „Wir müssen aufhören, uns gegenseitig anzupatzen.“ Das sollte er einmal seinen Kollegen in Wien beibringen.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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