Nazi-Sprech
„Im Dritten Reich haben sie eine ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht.“ Das sagte der Kärntner FPÖ-Landeshauptmann Jörg Haider 1991. Nach einer breiten Welle des Protests musste er zurücktreten. 1999 kam Haider nach fulminantem Wahlergebnis als Landeshauptmann wieder. Acht Jahre später war den Wählern der Sager über die ordentliche Beschäftigungspolitik offenbar egal. Seither hat sich die Gleichgültigkeit gegenüber Nazi-Sprech noch deutlich verschlechtert. Herbert Kickl kann ohne große Proteste vom „Volkskanzler“ schwadronieren, obwohl der Ausdruck aus dem Nazi-Deutschland der Dreißigerjahre stammt. Er wurde von der NSDAP verwendet, um Adolf Hitler als den Führer des deutschen Volkes zu bezeichnen, vor allem in den Reden des Propagandaministers Joseph Goebbels. Nazi-Vokabular wie „Lügenpresse“ und „Systemparteien“ gehören längst zum Standard-Repertoire Kickls. Einmal wolle er sogar Flüchtlinge in Lagern „konzentrieren“. Jetzt hat er beim FPÖ-Neujahrstreffen nachgelegt. Die übrigen Parteien seien „Volksverräter“, er verspreche „Erlösung“. Beides Nazi-Vokabular – und fast niemand empört sich. Als „Volksverräter“ haben die Nazis Menschen bezeichnet, die sie als Feinde des deutschen Volkes angesehen haben: Kommunisten, Homosexuelle, aber auch Widerstandskämpfer und Deserteure. Vor allem Juden waren „Volksverräter“, um ihre Verfolgung und Ermordung zu rechtfertigen. Für die Nazis war „Erlösung“ kein religiöser Begriff, sondern ein politischer. Die Erlösung des deutschen Volkes sei nur durch die Umsetzung ihrer Ideologie möglich und könne nur erreicht werden, wenn „unwürdige Elemente“, zum Beispiel Juden, entfernt würden.
Um es klar zu sagen: Ich halte Kickl nicht für einen Nazi, aber seine Wortwahl ist immer öfter an jene der Nazis angelehnt. Sprache ist verräterisch. Wenn Kickl von einer Fahndungsliste spricht – gemeint: für die Vertreter der Regierung – dann klingt das nach Verbrechersuche. Das hat nichts mehr mit demokratischem Diskurs zu tun, sondern soll diffamieren. Bisher hat Kickl damit Erfolg. Laut allen Umfragen ist ihm Platz eins bei der Wahl im Herbst nicht zu nehmen. Ähnlich erfolgreich ist seine deutsche Schwesterpartei, die AfD, mit aktuell 22 Prozent Zustimmung und in den neuen Bundesländern deutlich darüber. Doch in Deutschland kippt die Stimmung. Die Zivilgesellschaft erwacht. Es sind nicht die bekannten linken Demonstranten. Bischöfe, Wirtschaftstreibende und Klimaschützer rufen zu Demos gegen rechts auf. Am Samstag waren es über 100.000, die dem Ruf gefolgt sind. In Hamburg musste eine Demo frühzeitig beendet werden, weil der Zulauf zu groß war.
Bei uns ist es ruhig. Obwohl die Unterschiede zwischen AfD und FPÖ nicht mehr groß sind. Die deutschen Demos entzünden sich an einem Treffen von Rechtsradikalen in Potsdam, bei dem der Chef der rechtsextremen Identitären in Österreich, Martin Sellner, über die Abschiebung von Millionen Ausländern, aber auch deutschen Staatsbürgern ausländischer Herkunft, gesprochen hatte. „Remigration“ nennt sich das und ist in Deutschland wie in Österreich verfassungswidrig. Herbert Kickl hat die Abgrenzung zu den Identitären längst aufgegeben. Er nennt sie „eine NGO wie Greenpeace“ und „ein interessantes und unterstützenswertes Projekt“. Aufschrei der Zivilbevölkerung oder Lichtermeer wie schon einmal? Bis jetzt Fehlanzeige. Tröstlich ist, wenn die FPÖ die aktuellen deutschen Bauern-Proteste kopieren will und zu einer Demo aufruft und gerade mal zehn bis 12 Traktoren vor der Wiener Hofburg aufmarschieren. Und noch ist Kickl nicht Kanzler. Wenigstens weiß man, woran man bei ihm ist. Er legt die Karten auf den Tisch. Man muss nur hinhören und vielleicht ein bisschen nachdenken.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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