Wenn aus der Babykarenz die Bildungskarenz wird

Politik / 14.03.2024 • 16:08 Uhr
ABD0094_20240201 – SIEVERSDORF – DEUTSCHLAND: ARCHIV – 14.11.2010, Brandenburg, Sieversdorf: Eine Mutter hebt ihr Baby in die Luft. (zu dpa: ÇThŸringer MŸtter bei Geburt ihrer Kinder im Schnitt 31,1 Jahre altÈ) Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++. – FOTO: APA/dpa-Zentralbild/Patrick Pleul
Laut Rechnungshof hat sich die Anzahl der Personen, die eine Bildungskarenz unmittelbar im Anschluss an die Elternkarenz in Anspruch nahmen, zwischen 2017 und 2021 mehr als verzehnfacht. DPA

Agenda Austria sieht Zweckentfremdung der Bildungskarenz. Auch in Vorarlberg sind es vor allem Frauen, die in Bildungskarenz gehen.

Darum geht’s:

  • Kosten für Bildungskarenz steigen stark an.
  • Junge Mütter nutzen Bildungskarenz zur Verlängerung der Babypause.
  • Reform der Bildungskarenz wird angestrebt.

Bregenz Die Bildungskarenz wird immer beliebter. Auch in Vorarlberg ist die Zahl der Arbeitnehmerinnen, die sich Bildungskarenz nehmen, in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Eigentlich eine gute Nachricht. Doch einst als Fortbildung für formal geringer Qualifizierte gedacht, wird die Bildungskarenz längst anders verwendet, wie das Institut “Agenda Austria” festgestellt hat. Demnach wird die Bildungskarenz häufig auch dazu genützt, die Elternkarenz zu verlängern oder sich eine Auszeit vom Job zu gönnen. Und das kostet den Steuerzahler kräftig.

In einem achtseitigen Bericht hat die “Agenda Austria” auf Grundlage von Bildungskarenz-Daten des AMS und Wirtschaftsministeriums die Weiterbildungsmaßnahme analysiert. Im zweiten Quartal 2023 gab es rund 22.000 Weiterbildungsgeld-Bezieher.

Carmen Treml Agenda Austria Ökonomin
Carmen Treml von der “Agenda Austria” ortet eine klare Zweckentfremdung der Bildungskarenz. Agenda Austria/Schierholz

Die Kosten für das Weiterbildungsgeld inklusive Sozialversicherungsbeiträge schnellten von 380 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 512 Millionen Euro im Jahr 2023 nach oben, rechnet die “Agenda Austria” vor. “Die Kosten für die Weiterbildungskarenz explodieren”, betont Ökonomin Carmen Treml von “Agenda Austria”. In Vorarlberg stiegen die Ausgaben um mehr als ein Drittel von rund sieben auf fast zehn Millionen Euro. Und zwar ausschließlich für Bildungskarenz von Frauen, wie das AMS Vorarlberg auf VN-Anfrage ausgewertet hat.

Größte Gruppe unter den Beziehern seien junge Mütter, die mithilfe der Bildungskarenz ihre Babypause verlängern. Die Anzahl der Personen, die eine Bildungskarenz unmittelbar im Anschluss an die Elternkarenz in Anspruch nahmen, hat sich laut Rechnungshof zwischen 2017 und 2021 mehr als verzehnfacht. Angebote im Internet finden sich zuhauf. Auf diversen Seiten wird vor allem Müttern empfohlen, mit der Bildungskarenz die Babykarenz zu verlängern. “Speziell für Mamis”, heißt es da. Und: “Um länger beim Goldschatz zu Hause bleiben zu können.” Allein in Vorarlberg sind im vergangenen Jahr 597 Personen in Bildungskarenz gewesen. Mehr als die Hälfte, nämlich 376, waren Frauen zwischen 25 und 40 Jahren. “Da hat sich ein regelrechter Markt etabliert”, kritisiert Treml. Insgesamt haben in Vorarlberg 455 Frauen und 125 Männer Bildungskarenz absolviert. Macht im Jahr 2023 insgesamt 579 Personen. Im Jahr 2018 waren es noch 290. Die Zahl der Menschen in Vorarlberg in Bildungskarenz hat sich also innerhalb von fünf Jahren verdoppelt.

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Ökonomin Treml ortet noch weitere Arten der Zweckentfremdung, wie sie im Gespräch mit den VN erläutert. “Die Bildungskarenz hat schon von Beginn an nicht den Sinn und Zweck erfüllt, den es sollte. Aber jetzt läuft es aus dem Ruder. Sie wird oft auch für innerbetriebliche Weiterbildung verwendet. Davon profitieren Unternehmen und Arbeitnehmer auf Kosten der Steuerzahler.” Eigentlich sollten in diesem Fall Unternehmen für einen Teil der Kosten aufkommen. Manche nehmen Bildungskarenz auch, um eine berufliche Auszeit zu nehmen. Da wird ein Englisch-Grundkurs absolviert und nebenbei ein halbes Jahr in England oder der USA gelebt. “Da werden Sprachkurse auf Anfängerniveau beworben, die auch etwas zur persönlichen Weiterentwicklung bringen. Aber sie dienen nicht der beruflichen Qualifikation.”

Auch ein Problem: Bei den männlichen Weiterbildungsgeld-Beziehern gibt es laut der Ökonomin Treml saisonale Schwankungen, die verdächtig nach dem unterjährigen Auf und Ab in der Baubranche aussehen würde. Und: Anstatt von geringqualifizierten Arbeitskräften werde die Bildungskarenz bevorzugt von Menschen mit guter Ausbildung in Anspruch genommen, sagt Treml. In Vorarlberg haben im Vorjahr 50 Akademiker eine Bildungskarenz genommen, das sind 8,6 Prozent aller Personen. 97 hatten eine höhere Ausbildung, 40 eine mittlere Ausbildung und 134 eine Lehrausbildung. Bei 188 Personen ist die formale Bildung aber ungeklärt – 2018 war dies noch bei 53 Personen der Fall.

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Nicht nur diesen Umstand kritisiert Treml. Die Datenlage sei insgesamt schlecht, so könne gar nicht festgestellt werden, wie die Bildungskarenz funktioniert. Aber diese Daten benötige es für die von der “Agenda Austria” geforderte grundlegende Reform. Die Anforderungen an die Art, Dauer und Nachvollziehbarkeit der Weiterbildung sollen angehoben werden. Zielführender wäre es auch, wenn Unternehmen für einen Teil der Bildungskarenz-Kosten ihres Mitarbeiters finanziell selbst aufkommen, sollte die Weiterbildung im Sinne des Unternehmens sein. In den Genuss der Weiterbildungsmaßnahme sollten laut Agenda Austria vor allem jene Arbeitskräfte mit niedriger Ausbildung kommen, die in höher qualifizierte Branchen wechseln wollen.

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Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) hofft heuer mit den Grünen bis zum Ende der Legislaturperiode noch eine Reform der Bildungskarenz zu schaffen.

Die Möglichkeit zur Bildungskarenz gibt es seit Jänner 1998. Unselbstständig Beschäftigte können sich zur Aus- und Weiterbildung zwei bis zwölf Monate freistellen lassen. In der Zeit der Karenzierung gibt es ein Weiterbildungsgeld, das dem Arbeitslosengeld entspricht, grundsätzlich 55 Prozent des vorangegangenen Nettoeinkommens. Während der Bildungskarenz ist auch nebenbei eine geringfügige Beschäftigung bis maximal 518,44 Euro monatlich erlaubt. Der Arbeitgeber muss der Bildungskarenz aber zustimmen, es besteht kein Rechtsanspruch. Im Zeitraum der Bildungskarenz besteht außerdem kein gesetzlicher Kündigungsschutz. Seit die vorausgesetzte Vor-Beschäftigungszeit von drei Jahren auf ein halbes Jahr reduziert wurde, ist die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher stark gestiegen.