“Die Situation am Wohnungsmarkt hat sich verschärft”

Politik / 19.03.2024 • 17:29 Uhr
Interview mit Ferdinand Koller, der die Geschäftsführung von Dowas
Ferdinand Koller hat am 1. März die Geschäftsführung von Dowas übernommen. VN/Paulitsch

Ferdinand Koller von Dowas spricht über Wohnungslosenhilfe in Vorarlberg, die Notwendigkeit des gemeinnützigen Wohnbaus und die Drogensituation auf den Straßen des Landes.

Bregenz Die Zahlen in der Vorarlberger Wohnungslosenhilfe sind stark gestiegen. Vor allem die Zahl der Kinder in der Wohnungslosenhilfe: Im Jahr 2023 haben 70 Prozent mehr Kinder eine Beratungsstelle der Institutionen besucht als im Jahr zuvor. Eine dieser Institutionen ist der Verein Dowas. Dort gibt es jetzt einen neuen Chef. Ferdinand Koller hat die Geschäftsführung übernommen. Im VN-Interview spricht er über die aktuelle Situation auf dem Vorarlberger Wohnungsmarkt, spricht über legale und illegale Diskriminierung bei der Wohnungssuche und erklärt, was man gegen die hohen Mietpreise tun kann.

Wie sieht die Situation im Dowas derzeit aus?

Ferdinand Koller: Insgesamt nehmen wir einen sehr hohen Druck auf unsere Angebote wahr. Also einerseits bei der Wohnungslosenhilfe, dazu zählen die Beratung und die Notschlafstelle. Andererseits aber auch beim Treffpunkt, also dem Tagesaufenthalt, und bei den betreuten Wohnformen. Im Treffpunkt haben wir im Moment 70 bis 100 Menschen, die jeden Tag zu uns kommen. Das ist eine sehr hohe Zahl. In der Notschlafstelle haben wir sehr hohe Anlaufzahlen und leider auch viele Abweisungen. Wir können insbesondere Männer oft nicht aufnehmen, weil die Betten schon voll belegt sind. Und in der Beratung der Wohnungslosenhilfe gab es bei uns im Dowas in den vergangenen zwei Jahren eine Steigerung von 56 Prozent. Das zeigt, dass sehr viele Einzelpersonen und Familien von Wohnungslosigkeit betroffen sind.

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Das heißt, die Menschen haben keine Wohnung mehr?

Koller: Nein, wir sprechen nicht nur davon, dass jemand aktuell keine Wohnung hat. Sondern auch davon, dass der Wohnraum gefährdet ist, zum Beispiel, wenn die Miete nicht mehr bezahlt werden kann, oder der Strom oder die Betriebskosten. Oder dass der Wohnraum ungeeignet ist, oder dass jemand irgendwo inoffiziell mitwohnt. Das sind alles Formen der Wohnungslosigkeit. Und wir müssen aufgrund der Zahlen davon ausgehen, dass sich die Situation verschärft.

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Warum steigen die Zahlen so stark?

Koller: Aufgrund der sozialen Krisen. Die Pandemie hat große soziale Spuren hinterlassen. Und wir haben eine Teuerungskrise, in der viele Haushalte ihre laufenden Kosten nicht mehr zahlen können. Sie haben das Ersparte aufgebraucht und irgendwann geht es einfach nicht mehr. Man muss dazu sagen, dass es neue Angebote wie den Wohnschirm gibt, zu dem sich Menschen auch beraten lassen. Das hat natürlich einen Zulauf gebracht, erklärt aber nicht diesen starken Anstieg der Beratungen in der Wohnungslosenhilfe.

Interview mit Ferdinand Koller, der die Geschäftsführung von Dowas
Interview mit Ferdinand Koller, der die Geschäftsführung von Dowas

Was sind denn die klassischen Themen in der Beratung?

Koller: Es geht viel um Delogierungsprävention. Wir haben im Vorjahr in jeder Woche eine Wohnung gesichert. Meistens geht es um finanzielle Probleme bei der Leistbarkeit der Wohnung. Oder ein Mietvertrag läuft aus, befristete Mietverträge sind ein großes Thema. Sie werden nicht verlängert oder werden viel teurer und können deshalb nicht verlängert werden. Oder der Vermieter meldet Eigenbedarf an. Und wir erfahren, dass es viel Diskriminierung gibt, erlaubte und unerlaubte. Das findet im privaten Bereich statt, ist aber sehr relevant für uns, weil wir einen geringen Anteil an gemeinnützigen Wohnungen haben.

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Welche Diskriminierungen erleben ihre Klientinnen und Klienten?

Koller: Private Vermieter diskriminieren zum Teil sehr munter. Wenn ich einer Familie mit vier Kindern die Wohnung nicht gebe, weil sie vier Kinder hat, ist das nicht verboten. Unerlaubte Diskriminierung ist es, wenn ich sage, ich nehme keine Somalier zum Beispiel. Das hören wir sehr oft. Das ist eigentlich nicht erlaubt, aber die Menschen sind dem wehrlos ausgesetzt. Es gibt da keine Sanktionen gegen die Vermieter. Neben der Leistbarkeit ist ein diskriminierungsfreier Zugang zu Wohnungen ein Thema, das uns in der Beratung oft begegnet. Wenn man ein Wohnungsinserat sieht, indem mit “ideal für Paare” geworben wird, weiß man eigentlich schon, dass eine Familie mit Kindern und einem Hund die Wohnung nicht bekommen wird. Auch Leute mit geringem Einkommen werden diskriminiert. Raucher werden es. Es gibt eine ganze Palette an Wunschkriterien von Vermietern, die es vielen Haushalten schwierig macht, Wohnraum zu finden.

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Tut die Politik etwas dagegen?

Koller: Ich sehe keine Ambition, dass man etwas dagegen tut. Das Thema ist auch ein ganz wesentliches Argument für gemeinnützigen Wohnbau, weil mit dem Punktesystem solche Diskriminierungen ganz klar nicht vorkommen würden.

Die Bundesregierung hat ja das Wohnpaket präsentiert, das jetzt im Nationalrat beschlossen wird. Ein guter Schritt?

Koller: Es ist jedenfalls sehr wichtig, dass es auch in Vorarlberg eine Offensive im gemeinnützigen Wohnbau gibt. Künftige Landesregierungen sollten sich hier ambitionierte Ziele setzen. Wir haben in Vorarlberger einen gemeinnützigen Anteil von zwölf Prozent, das ist der niedrigste Wert in Österreich. Aber wir haben nach Wien den zweithöchsten Anteil an Mietern. Und der Mieteranteil steigt. Viele Menschen sind also von dieser Wohnform abhängig, deshalb benötigen wir viele tausende gemeinnützige Wohnungen mehr. Mehr Gemeinnützige wirken sich auch positiv auf den privaten Mietmarkt aus, weil die Mieten sinken. Die Bundesregierung möchte jetzt Geld für 10.000 gemeinnützige Mietwohnungen zur Verfügung stellen. Ich denke, das sollte das Ziel für Vorarlberg in den nächsten zehn Jahren sein. Dann wären wir dort, wo andere Bundesländer sind.

Interview mit Ferdinand Koller, der die Geschäftsführung von Dowas
Interview mit Ferdinand Koller, der die Geschäftsführung von Dowas

Wie viele wohnungslose Menschen in Vorarlberg gibt es?

Koller: Es gibt eigentlich keine richtige Schätzung. Es gibt die Zahlen der Arge Wohnungslosenhilfe, wie viele Menschen die Beratung in Anspruch nehmen. Das waren allein im Oktober des Vorjahrs rund 1300 Haushalte und Einzelpersonen. Wir haben in Österreich generell das Problem, dass wir keine wirklichen Zahlen haben.

Wie sieht die Lage in anderen Bereichen aus, zum Beispiel beim Drogenkonsum? Hat er zugenommen?

Koller: Der Konsum von Drogen unter unserer Klientel ist konstant hoch. Wir haben Angebote wie den Spritzentausch und die niederschwellige Suchtberatung. Unsere Zahlen haben sich von 2018 bis 2022 stark erhöht. Das kann auch daran liegen, dass es mehr Bewusstsein für sicheren Konsum gibt und die Beratung stärker angenommen wird. Aber es kann auch damit zu tun haben, dass mehr konsumiert wird. 2023 hatten wir erstmals keine Erhöhung mehr. Aber wir sehen auch bei Leuten, die unsere Angebote nicht wirklich nutzen, dass teilweise massiv konsumiert wird.

Wird diesen Menschen ausreichend geholfen?

Koller: Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind viel zu lange. Wenn wir mit jemandem darauf hinarbeiten, dass er aufhört, und er dann die Entscheidung trifft, dann bräuchte es innerhalb kürzester Zeit einen Platz. Wenn sie drei Monate warten müssen, funktioniert es einfach nicht mehr.

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Verein Dowas

Der Verein Dowas hat derzeit rund 50 Mitglieder und wird von einem ehrenamtlichen Vorstand geführt. Er entstand aus einer Initiative von Mitarbeitern des Bregenzer Jugendzentrums im Jahr 1981. Ein Jahr später wurde der Verein gegründet. Die Aufgabe: Hilfe für wohnungs- und arbeitssuchende Menschen.

Vorstandsvorsitzende: Sabine Steinbacher

Stellvertreter: Johannes Pircher-Sanou

Finanzreferent: Daniel Dolezal-Steiner

Weitere Vorstandsmitglieder: Roswitha Steger, Sandra Küng, Thomas Lässer, Monika Mair-Fleisch