Vorarlberger dürfen in Lindau kein Cannabis kaufen: Warum das nicht diskriminierend ist

Politik / 03.04.2024 • 17:00 Uhr
CSC Bodensee Neues Cannabis Gesetz: Was sich mit der Legalisierung ändert David Graf CSU Politiker
Mitglied im “Cannabis Social Club” von Lindau kann nur werden, wer auch in Deutschland wohnt. Grenzgänger aus Vorarlberg schauen durch die Finger. VN/Roland Paulitsch

Dank der Europäischen Union gelten für Bürger aus allen Mitgliedsstaaten in allen Mitgliedsstaaten gewisse Grundfreiheiten. Außer es geht um Drogen.

Berlin, Wien Weil in der Europäischen Union ein Gleichbehandlungsgebot gilt, ist es vermutlich rechtswidrig, wenn Skigebiete vergünstigte Saisonkarten für Einheimische anbieten. Denn zu den vier Grundfreiheiten der EU gehört auch, dass Waren in allen Mitgliedsstaaten für Angehörige aller Mitgliedsstaaten gleichermaßen zugänglich sind. Trotzdem können Vorarlbergerinnen und Vorarlberger nicht einfach Mitglieder in einem „Cannabis Social Club“ – zum Beispiel in Lindau – werden: Das ist laut dem neuen Konsumcannabisgesetz Menschen mit Wohnsitz in Deutschland vorbehalten. Und Ausländer können in solchen Anbauvereinigungen über der Grenze damit auch kein Cannabis kaufen.

Sonderfall Cannabis

Das ist europarechtlich gesehen aber wohl keine unzulässige Diskriminierung. Davon ist zumindest Andreas Müller, Professor für Europarecht an der Universität Basel, überzeugt. Der Vorarlberger schreibt auf VN-Anfrage: „Das Anknüpfen am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt stellt eine sogenannte ‚indirekte Diskriminierung‘ dar, die europarechtlich problematisch ist.“ Beim Cannabis handle es sich aber um einen Sonderfall, sagt der Jurist: „Weil es nicht um irgendeine Ware, sondern um eine Droge geht.“

Vorarlberger dürfen in Lindau kein Cannabis kaufen: Warum das nicht diskriminierend ist
Der Vorarlberger Andreas Müller ist Professor für Europarecht an der Universität Basel. Universität Basel/zur Verfügung gestellt

Der Europäische Gerichtshof habe nämlich in einem niederländischen Fall folgendermaßen entschieden: „Cannabis fällt nicht in die Warenverkehrsfreiheit, da es sich um eine Droge handelt, deren Handel in allen EU-Staaten – und auch nach völkerrechtlichen Verträgen – verboten ist.“ Das deutsche Gesetz führe zwar zu einer anderen Situation, da Cannabis teilweise legalisiert wird. Aber, so Andreas Müller: „Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass eine in diesem Zusammenhang bestehende indirekte Diskriminierung gerechtfertigt sein kann.“

Weiter Spielraum für die Mitgliedsstaaten

Das gelte insbesondere dann, wenn das Gesetz und damit die öffentliche Ordnung mit einer bestimmten Einschränkung besser durchgesetzt werden kann. In dem Fall ist der Wohnsitz das Kriterium: „Ich denke, dass diese Argumentation in Hinblick auf das deutsche Gesetz durchaus realistisch ist.“ Der Europäische Gerichtshof habe signalisiert, dass die Mitgliedsstaaten gerade in dieser Frage einen nennenswerten Spielraum haben: „Insgesamt sehe ich hier also keine europarechtlich verbotene Beschränkung der Grundfreiheiten oder Freizügigkeit“, schreibt Müller.

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Sabine Gallinat (l.) und Siegbert Fertig (r.) haben den “Cannabis Social Club” in Lindau gegründet. VN/Roland Paulitsch

Warum aber wird die Mitgliedschaft in „Cannabis Social Clubs“ nur Menschen ermöglicht, die in Deutschland leben? Auf VN-Anfrage begründet ein Sprecher aus dem deutschen Gesundheitsressort von Minister Karl Lauterbach das Gesetz so: “Die Regelung soll einen grenzüberschreitenden Drogentourismus vermeiden und mit den geltenden europa- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen vereinbar sein.” Deshalb bleibe auch die Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr von Cannabis generell verboten und mit Strafe bedroht: “Damit werden sowohl die Cannabis-bezogenen Regelungsregime anderer Staaten berücksichtigt als auch den europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland Rechnung getragen.”

Für den Vorarlberger Landeshauptmann, Markus Wallner, ist das dennoch nicht gut genug. Der sagte den VN: „Wir wurden vor der Umsetzung der Cannabis-Freigabe gar nicht gefragt. Als Nachbarn hätte man sich das erwarten können.“

GERMANY-POLITICS/CABINET
Federführend für das neue Konsumcannabisgesetz in Deutschland zuständig war das Gesundheitsressort von Minister Karl Lauterbach von den Sozialdemokraten. Reuters/Liesa Johannssen

Aktualisierung am Donnerstag, dem 4. April 2024, um 11.40 Uhr: Stellungnahme des deutschen Bundesministerium für Gesundheit eingefügt.