Existenzängste und Zukunftsvisionen: So geht es den Berufsfischern um den See

Politik / 24.04.2024 • 05:00 Uhr
Roland Stohr Wasserburg Berufsfischer Fischereiverband
Der Wasserburger Roland Stohr ist seit vielen Jahren Berufsfischer und Vorsitzender der Genossenschaft der bayerischen Bodenseeberufsfischer.

Das Leben der Bodenseefischer hat sich im Laufe der Zeit stark verändert.

Aus der Serie: Wem gehört der Bodensee. Texte: Julia Baumann (Schwäbische Zeitung) und Judith Schönenberger (St. Galler Tagblatt)

Wasserburg, Landschlacht Es wird noch eine Weile dauern, bis die Sonne über die Pfänderspitze geklettert ist, doch langsam beginnt die Morgendämmerung. Roland Stohr schlüpft in seine Fischerhosen, steigt in sein Boot am Wasserburger Hafen und wirft den Motor an. Seit 40 Jahren fährt er aufs Wasser. Heute liegt Saharastaub in der Luft. Und die Frage „Was ist im Netz?“

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Felchen werden es nicht sein – höchstens als Beifang. Von ihrem einstigen „Brotfisch“ fangen die Fischer immer weniger. 2022 waren es nur 21 Tonnen, 2010 noch etwas mehr als 600 Tonnen. Vergangenes Jahr hat die internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) beschlossen, dass Felchen am Obersee in den nächsten drei Jahren nicht gefangen werden dürfen. Die Bestände sollen sich wieder erholen. Stohr, auch Vorsitzender der Genossenschaft der bayerischen Bodenseefischer, glaubt, dass das keine nachhaltige Strategie ist.

Roland Stohr Wasserburg Berufsfischer Fischereiverband
In den Netzen finden sich Hechte, Barsche, Zander, Welse, Seeforellen und Rotaugen.

Er ist an diesem Morgen fast allein auf dem See. Weit hinaus fährt er nicht. Die Netze liegen hauptsächlich in Ufernähe, wo das Wasser niedriger ist. Gefangen werden dort Hechte, Barsche, Zander, Welse, Seeforellen und Rotaugen. Diese Fische wurden früher als Ausschuss behandelt, erzählt Stohr. Mittlerweile werden sie offensiv vermarktet. Anfang der 1980er-Jahre lebten laut Stohr rund 200 Familien nur von der Fischerei am Bodensee, heute seien es 53, teils im Nebenerwerb.

Roland Stohr Wasserburg Berufsfischer Fischereiverband
Anfang der 1980er-Jahre lebten laut Stohr rund 200 Familien von der Fischerei am Bodensee.

Auf der anderen Seite des Sees, in der Schweiz, lebt und arbeitet Reto Leuch. “Früher war die Fischerei unsere Nummer eins, heute ist es der Obstbau”, sagt er. Er ist Berufsfischer, Präsident des Schweizer Berufsfischerverbands und Landwirt. In Landschlacht führt er gemeinsam mit seiner Frau Barbara seit 25 Jahren den Betrieb mit eigenem Fischladen. “Vor ein paar Jahren haben wir noch Fischessen veranstaltet, um unsere Fische loszuwerden.” Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert, die Fangerträge sind eingebrochen. Leuchs beliefern heute noch zwei Restaurants, mehrere Jahre zuvor waren es 15.

Schweizer Berufsfischer Bodensee Reto Leuch
Der Berufsfischer und Präsident des Schweizer Berufsfischerverbands Reto Leuch.

“Als man gesehen hat, in welche Richtung es mit der Fischerei geht, haben wir uns auf den Obstbau fokussiert”, sagt Leuch. Sein erwachsener Sohn ist bei ihm angestellt und macht die Ausbildung zum Berufsfischer. Ihm haben die Eltern geraten, zuerst einen anderen Beruf zu erlernen. “Allein von der Fischerei kann man nicht leben und das wird sich in Zukunft wohl auch nicht ändern”, sagt Leuch.

Schweizer Berufsfischer Bodensee Reto Leuch
Mittlerweile hat sich Reto Leuch auf den Obstbau fokussiert.

Bereits vor vier Jahren haben Berufsfischer den Verein Bodenseefisch gegründet, um die Fischerei am See international zu fördern. “Einen Austausch gab es schon immer”, sagt Leuch. Als die Situation besser gewesen ist, allerdings weniger. Aber: “Not schweißt zusammen.”

Phosphat und Kormorane

Deutschland, Österreich und die Schweiz haben das Felchenfangverbot gemeinsam beschlossen. Der Vorsitzende der Genossenschaft der bayerischen Bodenseefischer Roland Stohr hält nichts davon. Seiner Ansicht nach muss vor allem der Lebensraum der Felchen verbessert werden. Doch die modernen Kläranlagen filterten „unnötig viel“ Phosphat aus dem See. Dass sich etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Wissenschaftler fürchten, dass dies die Wasserqualität in tieferen Schichten gefährden würde.

Beim Kormoran gibt es keine einheitlichen Regeln. Der Vogel holt jährlich 300 Tonnen Egli und andere Fische aus dem Bodensee. Während der Kormoran in Vorarlberg unter bestimmten Bedingungen am Bodensee gejagt werden darf und in Baden-Württemberg jährlich 2000 dieser Vögel erlegt werden, wird er in der Schweiz wenig bejagt. “Es müssen bessere Wege gefunden werden, um den Kormoranbestand zu regulieren”, sagt der Schweizer Fischer Reto Leuch.

Der Bodensee und seine vielen Schätze

Es war eine echte Zäsur, als die „Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei“ am 21. Juni 2023 ein dreijähriges Fangverbot für Felchen ausgesprochen hat – den Brotfisch des Sees, der über Generationen auf Touristentellern lag und Fischerfamilien in Österreich, der Schweiz und Deutschland ernährt hat. Dem historischen Einschnitt ist ein jahrelanger Streit zwischen Fischern und Forschern, Umweltpolitikern und Umweltschützern über Wasserqualität und Artenschutz vorausgegangen.

Doch es geht am Bodensee um mehr als den Bestand des Felchens. Es geht um die Zukunft eines einzigartigen Ökosystems, Trinkwasserspeichers, Urlaubsziels, Sehnsuchtsorts. Und für die Menschen am See um ihre Heimat.Was passiert mit dem Gewässer, das von drei Staaten umschlossen ist und nicht nur im Sommer Hunderttausende anlockt? Wie verändern sich Fauna und Flora? Welche Rolle spielen Schifffahrt und Tourismus? Ist Seethermie eine Chance oder ein Risiko? Was sagen Politik und Wissenschaft?

Darum dreht sich unsere Serie „Wem gehört der Bodensee?“. Entstanden ist sie grenzübergreifend wie der See, seine Schönheit und seine Probleme, als Coproduktion von Vorarlberger Nachrichten, St. Galler Tagblatt, Thurgauer Zeitung und Schwäbischer Zeitung.

Existenzängste und Zukunftsvisionen: So geht es den Berufsfischern um den See