Alle wollen mit Wasser aus dem Bodensee heizen – kann das funktionieren?

Politik / 29.05.2024 • 15:14 Uhr
In Bregenz wurde mit dem Bau der Anlage zwischen Hallenbad und Festspielhaus bereits begonnen.  VLK
In Bregenz wurde mit dem Bau der Anlage zwischen Hallenbad und Festspielhaus bereits begonnen.  VLK

Teil 8 der Serie “Wem gehört der Bodensee”: Der Bodensee ist ein riesiger Wärmespeicher, was sämtliche Anrainer nutzen wollen. Doch die Seethermie-Projekte stehen vor gewaltigen Herausforderungen.

Text: Florian Peking, Schwäbische Zeitung

Friedrichshafen Wer bei schönem Wetter am Ufer des Bodensees entlangspaziert, dem erscheint das Gewässer vor allem als riesiges Gebiet für Naherholung, Sport und Freizeitaktivitäten. Fröhlich schippern die Segelboote umher. Sonnenbebrillte Menschen halten ihre Füße ins kühle Wasser. Und das satte Blau des Sees in Verbindung mit dem Bergpanorama der Alpen im Hintergrund bietet fast überall am Ufer Motive, wie man sie sonst nur von Postkarten kennt. Doch der See erfüllt fernab dieser Idylle Funktionen, die noch deutlich wichtiger sind. Er ist Trinkwasserspeicher für Millionen von Menschen. Und eine weitere Aufgabe des Bodensees dürfte in Zukunft immer wichtiger werden: Das Gewässer soll als CO2-neutrale Energiequelle dienen. 

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Die Seethermie funktioniert, wie auch die Erdwärme, nach dem Prinzip der Wärmepumpen-Technologie. Das Wasser wird dabei aus den tieferen Schichten des Bodensees entnommen. Das sei für einen „stabilen Prozess“ notwendig, berichtet Marcel Stofer, denn in der Tiefe habe der See im Winter wie im Sommer eine konstante Temperatur. Leitungen bringen das Seewasser in eine Betriebszentrale am Ufer. Dort kommt es durch einen Wärmetauscher, der dem Wasser Wärme entzieht und diese auf einen zweiten Wasserkreislauf überträgt. Wärmepumpen bringen die Wärme dann mithilfe von Strom auf die benötigte Arbeitstemperatur. Und schon kann die Wärme über ein angeschlossenes Verteilernetz in Gebäude gelangen. „Das Wasser fließt dann, etwa zwei bis vier Grad kälter, wieder zurück in den Bodensee“, sagt Marcel Stofer. 

Marius Wöhler (ohne Brille), Marcel Stofer, Uni Konstanz, Gottlieben
Marcel Stofer leitet den Bereich Wärme beim Thurgauer Energieversorger EKT. Rainer Schmid 

Neben Gottlieben haben weitere Gemeinden im Kanton Thurgau Seethermie-Pläne – etwa Romanshorn, Rorschach, Steinach und Horn. Der Effekt, den die Technologie allein für den Kanton haben könnte, ist nicht zu unterschätzen: „Studien haben ergeben, dass wir damit etwa zehn Prozent des Wärmebedarfs ersetzen könnten“, berichtet der Experte. Auch auf der deutschen Seite setzt man große Hoffnungen in die Seethermie. „Die Idee hat Charme“, sagt Marius Wöhler, Bereichsleiter Energiesysteme beim Stadtwerk am See. Das Stadtwerk plant ein Seethermie-Projekt in Meersburg. Es könnte das erste am deutschen Bodenseeufer sein, das mit Energie aus Seewasser ein Wärmenetz betreibt. „Wenn alles perfekt läuft, haben wir in eineinhalb Jahren die Planung abgeschlossen. Und dann kann der Bagger kommen“, sagt Wöhler. 

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Auch mit anderen Kommunen im Bodenseekreis geht das Stadtwerk am See das Thema an. Mit der Stadt Friedrichshafen etwa, wo Seethermie ein wichtiger Baustein bei der kommunalen Wärmeplanung – und damit der politisch forcierten Wende zu erneuerbaren Energien – sein soll. Hier sei man bei den Planungen noch in einem früheren Stadium als in Meersburg, berichtet Marius Wöhler. Wo können Betriebszentralen entstehen? Wie wird das Wärmenetz konkret ausgebaut? Diese Fragen gelte es in den nächsten Monaten zu klären. Ähnlich sehe es in Überlingen aus, so Wöhler. Im Kreis Konstanz ist das Thema ebenfalls hochaktuell. Die Universität Konstanz beispielsweise benutzt schon seit ihren Gründungstagen Bodenseewasser zur Kühlung ihres Rechenzentrums und von Hörsälen. Der Bau von Großwärmepumpen soll nun dafür sorgen, dass voraussichtlich ab 2027 mehr als zwei Drittel des Heizwärmebedarfs der Uni aus Seewärme gespeist werden. 

Marius Wöhler (ohne Brille), Marcel Stofer, Uni Konstanz, Gottlieben
Marius Wöhler leitet den Bereich Energiesysteme beim Stadtwerk am See. Stadtwerk am See 

Euphorisch ist man auch auf der österreichischen Seeseite. „Mit diesem Schatz vor unserer Haustür kann die Energiewende gelingen“, wird der Bregenzer Energie-Stadtrat Heribert Hehle in einer Pressemitteilung zitiert. Das Land Vorarlberg hatte im Frühjahr 2023 in Kooperation mit den Gemeinden Bregenz, Hard und Lochau eine Untersuchung zur Seethermie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Sieben potenzielle Entnahmestellen für Seewärme konnten die Vorarlberger finden. Zwei in Lochau, vier in Bregenz und eine in Hard. Ganz konkret will man bald zum Beispiel das Festspielhaus und das Schwimmbad in Bregenz mittels Seethermie heizen.  

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Viele Hoffnungen, viele Projekte – und das ganz ohne Haken? Was bedeutet es für das Wasser – immerhin ein Lebensmittel für Millionen von Menschen – wenn rund um den Bodensee Seethermie-Anlagen wie Pilze aus dem Boden sprießen? Genau das hat die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) im Blick. Zum Schutz des Gewässers und des Trinkwassers gelten strenge Richtlinien.  

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Zum Beispiel hat die IGKB festgelegt, dass Seethermie-Anlagen, je nach Leistung, bis zu einem Kilometer von Stellen entfernt sein müssen, an denen Trinkwasser entnommen wird. Auch dass der Wärmetauscher nur in einem Sekundärkreislauf betrieben werden darf, ist eine Vorgabe – so wird ein direkter Kontakt mit dem Lebensmittel vermieden. 

Marius Wöhler (ohne Brille), Marcel Stofer, Uni Konstanz, Gottlieben
Bereits 2018 wurden acht Dächer der Universität Konstanz mit Photovoltaikanlagen ausgestattet. 20 Dächer mit rund 14.000 Quadratmetern kommen hinzu – und Großwärmepumpen sollen ab 2027 das Heizen mit Seewasser ermöglichen.  Frank Nachtwey 

Was die Rückgabe des kälteren Wassers in den See angeht, bestehen offenbar wenig Bedenken. „Es ist nicht so, dass man da etwas Klimaschädliches macht“, sagt Marcel Stofer vom Energieversorger EKT. Es sei eher das Gegenteil der Fall: Da sich der Bodensee durch den Klimawandel immer weiter erwärme, sei es eine gute Sache, wenn dem Wasser etwas von dieser Wärme entzogen werde. Ohnehin sei der Effekt angesichts des gigantischen Volumens des Sees sehr gering. „Der Effekt von Projekten wie in Meersburg oder Friedrichshafen ist quasi kaum messbar“, sagt auch Marius Wöhler vom Stadtwerk am See. 

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Problematischer ist da eher eine andere, noch recht neue Bedrohung im See, die inzwischen allerorten Schwierigkeiten macht: die Quagga-Muschel. Die invasive Art verbreitet sich im Bodensee ungefähr seit dem Jahr 2016. Die freischwebende Larve der Muschel kann sich fast überall festsetzen. So werden Wasserrohre für Trinkwasser verstopft, die dann teuer gereinigt werden müssen. Ein Problem, das auch in Anlagen für Seethermie droht. „Unser Vorteil ist: Wir wissen jetzt, dass die Muschel da ist“, sagt Marius Wöhler. Bei der Planung der Anlagen könne man sich darauf einstellen. „Wir gehen davon aus, dass das beherrschbar ist“, berichtet Wöhler. 

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Gottlieben im Schweizer Kanton Thurgau: Seethermie versorgt hier bald mehr als 250 Haushalte mit Wärme. Holger Spiering/Imago 

Das sieht auch Marcel Stofer auf der Schweizer Seeseite so. „Bei Anlagen, die wir neu bauen, treffen wir technische Vorkehrungen“, sagt er. Die Leitungen werden so konzipiert, dass sie relativ einfach mechanisch zu reinigen sind – „molchen“ nennt das der Fachmann. Dabei wird ein Gerät durch die Leitungen geschoben. „Das ist wie ein Pfeifenputzer, den man durch die Leitung durchdrückt“, erläutert Stofer die Funktionsweise. So werde die Innenseite des Rohres mechanisch abgeschabt und die Muschelreste in den See hinausgestoßen. Wie oft solche Reinigungen anstehen werden, sei noch nicht ganz klar. Marcel Stofer rechnet mit etwa zwei bis vier Reinigungen pro Jahr. 

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Eine weitere große Herausforderung bei der Seethermie gibt es allerdings, noch bevor die Anlagen überhaupt stehen: der Faktor Kosten. Denn Betriebszentralen am Ufer bauen oder Leitungen in den See verlegen – das ist das eine. Um die gewonnene Wärme zum Verbraucher zu bringen, sind allerdings Wärmenetze nötig – die in dieser Form rund um den Bodensee noch recht rar sind. Und sie zu bauen, kostet jede Menge Geld. „Das ist ein kostenintensives Vorhaben“, sagt Experte Marcel Stofer. In das Projekt in Gottlieben etwa werden sechs Millionen Schweizer Franken investiert. Und die Vorarlberger Landesregierung rechnet für ihre neuen Seethermie-Anlagen mit Kosten von mehreren 100 Millionen Euro – die sich aber langfristig amortisieren sollen.

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Darum dreht sich unsere Serie „Wem gehört der Bodensee?“. Entstanden ist sie grenzübergreifend wie der See, seine Schönheit und seine Probleme, als Coproduktion von Vorarlberger Nachrichten, St. Galler Tagblatt, Thurgauer Zeitung und Schwäbischer Zeitung.

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