VN-Hintergrund: Österreich auf der Suche nach einem neuen EU-Kommissar

Finanzminister Magnus Brunner hat gute Karten, ist aber nicht die einzige Person mit Aussicht auf den hochrangigen Posten.
Brüssel Nach der Europawahl ist vor der großen Postenvergabe. In den kommenden Wochen und Monaten entscheidet sich, wer neuer Ratspräsident wird, wer den Posten der Außenbeauftragten übernimmt, ob die EU-Parlamentspräsidentin im Amt bleibt. Die Augen sind aber vor allem auf Ursula von der Leyen gerichtet: Wird sie von den Staats- und Regierungschefs für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin vorgeschlagen? Wird sie vom Europaparlament abermals bestätigt? Und vor allem aus Sicht der 27 Mitgliedsstaaten relevant: Welche Ressorts in der nächsten EU-Kommission übernehmen welche Persönlichkeiten aus welchem Land?

Folgendes Szenario basiert darauf, dass von der Leyen tatsächlich abermals als Kommissionspräsidentin bestätigt wird – was alles andere als gesichert gilt. Es wäre aber auch auf eine Situation anwendbar, in der etwa der ehemalige italienische Ministerpräsident Mario Draghi in den Posten des Kommissionspräsidenten kommt.
Koalition am Zug
Denn die EU-Kommissarin oder den EU-Kommissar aus Österreich schlägt die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates vor – in der Praxis muss sich also die türkis-grüne Koalition auf eine aus ihrer Sicht geeignete Persönlichkeit einigen. Sollte von der Leyen wieder (wie vor fünf Jahren) den Wunsch äußern, dass jedes Land jeweils eine Frau und einen Mann für den Posten vorschlägt, könnte die Regierung dem nachkommen. Oder ignorieren.

Gemeinsam mit dem Europäischen Rat – also den 27 Staats- und Regierungschefs – würde von der Leyen dann eine Liste ihrer Kommissarinnen und Kommissare erstellen. Und auch entscheiden, welches Land welches Ressort erhält. Also entweder ein renommiertes, wie jenes, das aktuell noch der Österreicher Johannes Hahn innehat (Haushalt und Verwaltung) oder eher eines, das nicht so im Licht der Öffentlichkeit steht: Der Grieche Margaritis Schinas ist aktuell zum Beispiel „Kommissar für die Förderung des europäischen Lebensstils“.
Hearing im EU-Parlament
Da kommen potenzielle österreichische Kandidaten ins Spiel: Wie mehrere informierte Personen den VN bestätigen, spielen für diese Posten auf europäischer Ebene die fachlichen Qualifikationen eine viel größere Rolle als zum Beispiel für Regierungsposten in Österreich. Nicht zuletzt deshalb, weil der jeweilige Ausschuss des Europaparlaments den Kandidaten für das Kommissars-Amt in einem Hearing auf Herz und Nieren abklopft – und nicht davor zurückschreckt, vorgeschlagene Persönlichkeiten abzulehnen. Er hat ein Veto-Recht.

Vorausgesetzt, der Grüne Koalitionspartner lässt sich darauf ein, eine Person aus der ÖVP für die Kommission vorzuschlagen, werden zwei Regierungsmitgliedern in informierten Kreisen die besten Chancen eingeräumt: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Finanzminister Magnus Brunner. Dass sich beide für den Posten interessieren, ist kein Geheimnis mehr: Edtstadler sagte im VN-Interview, dass sie sich den Karriereschritt vorstellen könnte; Sozialminister Johannes Rauch von den Grünen sagte den VN am Wahlabend, dass Brunner sein grundsätzliches Interesse bekundet hätte, aber: „Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.“ Welche der beiden Personen schlussendlich zum Zug kommen könnte, ist tatsächlich offen, und hängt, wie erwähnt, vom Ressort ab. Hier könnte Brunner schlussendlich die Nase vorn haben.

Ein Anzeichen dafür ist, dass von der Leyen bei einem Termin mit Bundeskanzler Karl Nehammer und Brunner kurz vor der Wahl explizit die wirtschaftliche Situation der Union ansprach – also ein Themengebiet, das in das Portfolio des bisherigen Finanzministers passen würde. Brunner war außerdem vor seiner Zeit als Energie-Staatssekretär der Vorstandsvorsitzende der ÖMAG – diese wickelt Förderungen für erneuerbare Energien ab und versteht sich als wichtiger Teil der Energiewende.
Edtstadler hat EU-Erweiterung auf Agenda
Verfassungsministerin Edtstadler würden eher Möglichkeiten auf ein Kommissariat für Justiz oder die Europäische Nachbarschaftspolitik nachgesagt: Die 43-Jährige war Richterin in Österreich und später juristische Mitarbeiterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte; als Regierungsmitglied engagierte sie sich im EU-Beitrittsprozess der Länder am Westbalkan.

Zu beachten ist aber: Üblich ist, dass große, prestigeträchtige Ressorts erst nach zumindest einer Amtszeit in der Kommission angetreten werden können. Und: Das Verhältnis zwischen Grünen und sowohl Edtstadler (etwa wegen Unstimmigkeiten zum nationalen Klimaplan) als auch Brunner (wegen beidseitiger Kritik, etwa betreffend COFAG oder Klimaschutzmaßnahmen) gilt als angespannt.
Finanzminister Brunner selbst wollte sich am Tag der Wahl nicht zum Thema äußern. Menschen aus dem Umfeld Brunners verweisen aktuell darauf, dass Brunner gerne der Finanzminister an der Seite Nehammers sei und sich die Bundesregierung zeitgerecht mit der Frage des Kommissarspostens beschäftigen werde. Klar sei aber auch, dass der künftigen EU-Kommission eine entscheidende Rolle zukommen werde, um Europa wirtschaftlich wieder zu stärken.
Eine Entscheidung, wer tatsächlich Kommissionspräsident oder Kommissionspräsidentin wird oder bleibt, wird erst für Juli erwartet. Und erst dann sind die Länder am Zug.