Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Hui und Pfui

Politik / 11.07.2024 • 16:15 Uhr

Das Mehrheitswahlrecht ist eine eigenartige Sache. Die soeben stattgefundenen Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich (UK) und in Frankreich haben dafür treffende Anschauungsbeispiele geliefert. In diesem Wahlsystem kämpfen in jedem Wahlbezirk die Kandidaten der jeweiligen Parteien um genau ein Mandat, das dann der stärksten Partei zufällt. So kann es, wie in Frankreich, ohne Weiteres passieren, dass die stimmenstärkste Partei (die Rechtspopulisten von Marine Le Pen) mit 37 Prozent nur die drittstärkste Kraft im Parlament wird und die Linksaußenpartei mit gerade mal 26 Prozent deutlicher Wahlsieger. In UK ist es nicht viel anders, Labour als Wahlsieger landete mit etwa 34 Prozent der Stimmen einen überwältigenden Wahlsieg. Die Partei hat ein Vielfaches an Mandaten errungen als die konservativen Wahlverlierer, obwohl dies die Stimmenanteile nicht so stark zum Ausdruck bringen.

„Das Verhältniswahlrecht kann zudem zu einer großen Parteienzersplitterung in den Parlamenten führen und das Regieren erschweren.“

So ein Mehrheitswahlrecht ist in der öffentlichen Wahrnehmung hui, wenn die „richtige“ Partei gewinnt und pfui, wenn die „falsche“ vorne liegt. In unserem in Österreich gewohnten Verhältniswahlsystem sind demgegenüber die Parteien im Parlament oder im Landtag mehr oder weniger proportional zu ihrem Stimmenanteil bei den Wahlen repräsentiert. Dieses Ergebnis empfinden viele als demokratisch und gerecht. Allerdings ist auch das Mehrheitswahlrecht demokratisch, denn es belohnt denjenigen Kandidaten, der von den Wählern den höchsten Zuspruch erhält und nicht jemanden, der oder die nur durch die Gnade parteiinterner Arithmetik auf einer wählbaren Stelle einer Liste gelandet ist.

Das Verhältniswahlrecht kann zudem zu einer großen Parteienzersplitterung in den Parlamenten führen und das Regieren erschweren. In den Niederlanden wurde zuletzt ein halbes Jahr lang über eine 4-Parteien-Koalition verhandelt, wir können gespannt sein, was uns im Herbst dieses Jahres in Österreich blüht.

Demgegenüber war in UK die Regierung unter Premierminister Keir Starmer bereits zwei Tage nach der Wahl in ihrem Amt. Das ist ebenso ein Vorteil wie der Umstand, dass keine Koalitionsübereinkommen mit faulen Kompromissen benötigt werden. Andererseits zeigt das Beispiel Frankreichs, dass ein Staat auch bei einem Mehrheitssystem unregierbar werden kann, wenn der Staatspräsident glaubt, das Wahlrecht für taktische Spielchen missbrauchen zu müssen.

In der Vergangenheit gab es in Österreich nicht wenige, die ein „mehrheitsförderndes Wahlrecht“ propagierten. Davon ist mittlerweile kaum mehr was zu hören. Vielleicht wird man nach den nächsten Wahlen wieder darüber nachdenken, wie das Wahlrecht die Regierbarkeit eines Landes verbessern kann.

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.