Hagen-Canaval im VN-Interview: “Die Proteste gehen in anderer Form weiter”

Politik / 06.08.2024 • 17:02 Uhr
ABD0113_20240219 – WIEN – …STERREICH: ZU APA0286 VOM 19.2.2024 – Marina Hagen-Canaval von der Letzten Generation …sterreich am Montag, 19. Februar 2024, anl. der PK “Letzte Generation …sterreich” “Vorstellung einer richtungsweisenden Entscheidung, kommende Protesttage und bevorstehender Gro§proteste” in Wien. – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
Marina Hagen-Canaval ist Sprecherin der “Letzten Generation”. APA/Helmut Fohringer

„Letzte Generation“ Österreich kündigt Ende ihrer Aktionen an, laut Hagen-Canaval gehen die Proteste aber weiter.

Bregenz Die Gruppe „Letzte Generation“ hat angekündigt, ihre Aktivitäten in Österreich einzustellen. Sie beendet ihre Proteste wie das Ankleben an Straßen, aber auch die anderen Formen des bisherigen Aktivismus. Das hat Sprecherin Marina Hagen-Canaval angekündigt: „Wir sehen keine Perspektive für Erfolg mehr.“ Ein Gespräch mit der 28-jährigen Götznerin.

Geben Sie auf?

Hagen-Canavel Nein, wir geben ganz sicher nicht auf. Wir werden nicht hinnehmen, dass die Regierung beschlossen hat, unsere Lebensgrundlage zu vernichten. Die Proteste gehen in einer anderen Form weiter, nur die „Letzte Generation“ als Projekt wird beendet.

Laut Presseaussendung wird sich die Bevölkerung „weiter organisieren und sich gegen das zerstörerische System auflehnen“ – ist das die Aufforderung zu einem Umsturz?

Hagen-Canavel Das hätte ich nicht herausgelesen, wir wollen natürlich keine gewaltvollen Aufstände. Es ist so, dass 96 Prozent der Österreicher:innen die „Letzte Generation“ kennen und wir haben viele Menschen politisiert. Und viele haben erkannt, dass wir irgendwie recht haben und sind nicht bereit, den zerstörerischen Kurs des fossilen Systems, das auf Ausbeutung und Tod beruht, hinzunehmen. Das wollen wir schon bekämpfen, in einer Demokratie mit Teilhabe und nicht wie aktuell in einer gewählten Aristokratie. Das ist doch keine Demokratie, wenn die gewählten Entscheidungsträger:innen nicht im Interesse ihrer Wähler:innen handeln, sondern im Interesse eigener Profite und von Fossilkonzernen.

Dann könnte man ja im Herbst andere Parteien wählen.

Hagen-Canaval Aber auch dann haben wir nur andere gewählte Aristokraten an der Macht, auch dann werden die Interessen der Bevölkerung nicht vertreten. Im schlimmsten Fall erleben wir einen Rechtsruck mit Hobby-Nazis in der Regierung – ich habe wenig Hoffnung, dass mit Wahlen nur alle fünf Jahre große gesellschaftliche Veränderungen angestoßen werden können. Die kamen immer von kleinen Minderheiten, die sehr vehement auf wichtige Anliegen aufmerksam gemacht haben. Wahlen sind ein gutes Instrument, um zu verhindern, dass es nicht noch schlimmer wird – aber für substanzielle Veränderung muss die politische Beteiligung über Wahlen hinausgehen. Sich darauf zu verlassen, dass Wahlen ausreichen, ist gefährlich.

Abseits von Parlamenten wird das von Ihnen geforderte Grundrecht auf Klimaschutz aber wohl nicht durchzusetzen sein.

Hagen-Canaval Die Suffragetten haben auch nicht die englische Regierung gestürzt. Die haben es einfach geschafft, die Gesellschaft so zu politisieren, dass der gesellschaftliche Druck hoch genug war, sodass die Regierung im Amt reagiert hat. Auch bei der Bürgerrechtsbewegung haben die gewählten Volksvertreter:innen an der Macht die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen durchgeführt, weil sie dann populär genug waren. Also das muss überhaupt kein gewaltvoller Umsturz sein.

ABD0168_20240713 – WIEN – …STERREICH: Protest der “Letzten Generation” am Samstag, 13. Juli 2024 vor dem Wiener Parlament. – FOTO: APA/ALEX HALADA
Die “Letzte Generation” machte immer mit Protestaktionen – etwa hier auf der Wiener Ringstraße vor dem Parlamentsgebäude – auf die Folgen der Klimakrise aufmerksam. APA/Alex Halda

Wen wählen denn Sie im Herbst?

Hagen-Canaval Ganz sicher keine Faschisten.

Aber vielleicht die Grünen, die laut Ihnen beim Klimaschutz in der Regierung versagt haben?

Hagen-Canaval Ich gebe keine Wahlempfehlung aus. Alles, was Menschen wählen, ist ok, solange es nicht ÖVP oder FPÖ sind.

Gehen die Proteste der „Extinction Rebellion“, etwa bei Landtagssitzungen, weiter?

Hagen-Canaval Das ist eine separate Bewegung und von der aktuellen Entscheidung nicht betroffen. Diese Proteste gehen weiter – unter anderem auch sicher wieder einmal mit mir, das ist meine aktivistische Heimat.

Landhaus
Die Proteste der “Extinction Rebellion” – etwa während Landtagssitzungen vor dem Landhaus – könnten weitergehen, sagt Marina Hagen-Canaval. Klaus Hartinger

Laut Ihrer Presseaussendung hat sich Österreichs Gesellschaft für die „fossile Verdrängung“ entschieden. Sind angesichts dessen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gewahrt werden muss, die klimapolitischen Entscheidungen der letzten Jahre nicht anzuerkennen?

Hagen-Canaval Der gesellschaftliche Zusammenhalt bleibt dann gewahrt, wenn wir die Klimakatastrophe in den Griff bekommen. Schaffen wir das nicht, gibt es Zerwürfnisse, weil es irgendwann nicht mehr genug Essen und Trinken für alle Menschen gibt. Bei einer Erderwärmung von 3 Grad bedeutet das laut Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber das ‘Ende der Zivilisation’. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wäre also dann gewahrt, wenn wir so schnell wie möglich aus den Fossilen aussteigen und eine gerechtere Gesellschaft gestalten. Und wenn wir nicht mehr zulassen, dass Politiker:innen die Forderungen von Ölbossen umsetzen, sondern dass sie gute Entscheidungen für ihre Wähler:innen treffen.

Aber gibt es positive klimapolitische Entscheidungen der letzten Jahre?

Hagen-Canaval Es gibt sicher viele Dinge, die verhindert worden sind, aber nichts, wobei ich das Gefühl hatte, dass nennenswerter Fortschritt passiert wäre. Es ist viel zu wenig und viel zu langsam für eine Überlebenschance, wenn es so weitergeht.

Projekte wie die Steuerreform mit CO₂-Bepreisung oder das Erneuerbare-Wärme-Gesetz passieren aber zum Beispiel.

Hagen-Canaval Ja, ein ausgehöhltes Erneuerbare-Wärme-Gesetz. In Österreich wird es nicht einmal möglich gemacht, als Wohnungseigentümerin ein Balkonkraftwerk an der Brüstung zu installieren, weil alle anderen Eigentümer im Haus Einspruch einlegen können. Wie soll die Energiewende denn so klappen? Wer den Eindruck eines substanziellen Fortschritts erwecken möchte, erzählt Märchen.

VN-Stammtisch Verkehr in Lustenau
Klimaschutzaktivistin diskutierte etwa beim VN-Stammtisch über den Verkehr in Lustenau mit. VN/Roland Paulitsch