Grenzkontrollen: Viele Fragezeichen nach deutscher Ankündigung

Politik / 10.09.2024 • 17:50 Uhr
Bei Hörbranz stoppte die Bundespolizei einen Fernreisebus mit zwölf Syrern ohne ausreichende Reisedokumente.  symbol/bundespolizei
Bei Hörbranz stoppt die Bundespolizei immer wieder Fernreisebusse mit illegal eingereisten Personen.  DPA

Land, Bund und Asfinag warten auf Details zu den deutschen Plänen an den Grenzen.

Text: Michael Prock & Birgit Entner-Gerhold (mit Material der APA)

Schwarzach Es droht ein Bild, das Menschen noch vor der Personenfreizügigkeit in der EU kennen: Polizisten stehen an der Grenze, kontrollieren Pässe, dahinter bilden sich kilometerlange Staus. Auch am Autobahngrenzübergang Hörbranz war das Realität – nun könnte dies zurückkehren. Deutschland möchte ab kommender Woche die Grenzkontrollen forcieren. Und zwar an allen Grenzen. In Vorarlberg gibt man sich dennoch gelassen. Der Fokus werde nicht auf Hörbranz-Lindau liegen, heißt es. Außerdem ist unklar, was Deutschland genau plant.

Am Dienstag sind in Deutschland Vertreter der Ampel-Koalition, der Union und der Länder zu Beratungen über eine bessere Steuerung und Kontrolle der Migration zusammengekommen. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schlug nach Angaben aus Regierungskreisen vor, die Bundespolizei solle künftig bei unerlaubten Einreisen mit Asylgesuch, prüfen, ob womöglich ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Anschließend könne die Bundespolizei beim zuständigen Gericht Haft wegen Fluchtgefahr beantragen, sofern Haftkapazitäten zur Verfügung stehen.

So sei ein beschleunigtes Verfahren zur Rückübernahme durch das zuständige Land nach den sogenannten Dublin-Regeln möglich. Sollte Haft nicht in Betracht kommen, solle alternativ eine feste Zuweisung und Wohnsitzauflage vorgesehen werden.

Zwar dürften sich die dafür nötigen zusätzlichen Grenzkontrollen vor allem auf die Grenzen zu Frankreich, Luxemburg und Osteuropa fokussieren, in Vorarlberg wartet man aber ab. “Unsere Polizei ist mit der deutschen Polizei in Kontakt”, betont Sicherheitslandesrat Christian Gantner. Man kenne das Prozedere schon von der Europameisterschaft. “Da haben wir unseren guten Kontakt zu den deutschen Behörden gesehen. Bei Rückstauereignissen hat man sofort reagiert. Wir rechnen beim Verkehr mit keinen großen Behinderungen.” Bei der Asfinag möchte man sich noch nicht dazu äußern. Zunächst wartet man auf offizielle Details, heißt es auf VN-Anfrage.

Dass die Grenze an der Autobahn für die deutschen Pläne sehr wohl interessant sein könnte, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Wie VOL.at berichtet, stellte die Bundespolizeiinspektion Kempten im Vorjahr 1819 unerlaubt eingereiste Personen fest. Die meisten stammten aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Die Hälfte wurde in Fernreisebussen aufgegriffen.

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Auch schon auf österreichischer Seite werden die Busse und andere Fahrzeige kontrolliert, auch in Zügen. In Vorarlberg geht man aber nicht davon aus, dass Deutschland viele Personen nach Österreich zurückschickt. “Dazu kommt, wenn ein Asylwerber an der Grenze zu Deutschland Asyl verlangt, muss er genommen werden”, betont Gantner.

Das sagt auch der Feldkircher Europarechtsexperte an der Uni Basel, Andreas Müller. Die Dublin III Verordnung gibt grundsätzlich den Rahmen vor, wie Staaten zu handeln haben, wenn Personen um Asyl ansuchen, erklärt er. Dass Flüchtlinge in der EU direkt an der Grenze zurückgewiesen werden sollen, hält er für problematisch. „Da gibt es eigentlich keinen Spielraum.“ Die Argumentation aus Deutschland, wonach Artikel 72 der EU-Verträge greifen könnte, beurteilt der Experte ähnlich. Artikel 72 ist eine Klausel, auf die sich Mitgliedstaaten berufen können, wenn sie die innere Sicherheit gefährdet sehen. Sie erlaubt es Mitgliedsstaaten, in Notsituationen von den EU-Regeln abzuweichen. Laut Müller wäre es rechtlich aber wenig überzeugend, würde die deutsche Regierung mit einem „Asylnotstand“ argumentieren. Deutschland müsste den Europäischen Gerichtshof überzeugen, dass die steigenden Asylantragszahlen die innere Sicherheit gefährden. Sprich: Die vergangenen Terroranschläge müssten direkt mit den Antragszahlen in Verbindung gebracht werden. „Die Lage hat sich mit den Attentaten zugespitzt, aber bei den Antragszahlen ist die Situation ähnlich wie in den vergangenen Jahren“, erklärt der EU-Rechtsexperte. Das EU-Recht könne so also nicht ausgehebelt werden. „Es wird sich auch politisch nicht spielen, Grenzen völlig zu schließen.“ Müller erinnert an die Pandemie: „Man müsste alle Züge stoppen, die Autobahnen sperren und die Polizei auf der grünen Grenze patrouillieren.“ Das wolle niemand. Wichtig sei nun, die handelnden Akteure an den bestehenden rechtlichen Rahmen zu erinnern. Handeln könnten die deutsche Innenministerin und ihre Amtskollegen in dem Sinne, dass sie auf Änderungen der Dublin-Regeln einwirken, deren Reform dieses Jahr ohnehin schon beschlossen wurde. „Das wäre der adäquate Weg. Ansonsten machen sie mit solchen Alleingängen das ohnehin fragile europäische rechtliche Rahmenwerk kaputt.“ Müller erinnert daran, dass sich auch schon die österreichische Bundesregierung auf die Notfallklausel berufen hatte, als sie 2015/16 eine Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme einführen wollte. „Der Europäische Gerichtshof befand, dass die Situation eklatanter sein müsste, um die innere Sicherheit tatsächlich zu gefährden. Heute befinden wir uns angesichts der Asylantragszahlen sicher nicht in einer kritischeren Lage.“

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Einige der neun Nachbarstaaten Deutschlands reagierten mit Kritik: “Die deutsche Innenpolitik diktiert diesen Aktionskalender, und leider müssen die anderen Länder dies berücksichtigen”, sagte Polens Innenminister Tomasz Siemoniak im polnischen Rundfunk. Österreichs Innenminister Gerhard Karner meinte: “Wenn das Deutschland tut, soll es mir Recht sein”, er sei auch nicht besonders überrascht. Aber, betont er auf VN-Anfrage: “Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Da gibt es keinen Spielraum! Das ist geltendes Recht. Ich habe den Bundespolizeidirektor deshalb angewiesen, keine Übernahmen durchzuführen.”

Land, Bund und Autobahnbetreiber warten jetzt einmal ab, was Deutschland genau plant. Die CDU hat die Gesprächsrunde am späten Dienstagnachmittag wieder verlassen.