Grüne Klubchefin Maurer: “Ein Abrüsten der Worte wäre dringend notwendig”

Politik / 17.09.2024 • 11:30 Uhr
Interview mit Grünen Klubobfrau Sigi Maurer
Sigrid Maurer ist seit Anfang 2020 Klubobfrau der Grünen im Nationalrat. VN/Steurer

Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer kritisiert die Volkspartei – vor allem Verfassungsministerin Karoline Edtstadler. Maurer hebt aber auch die Bedeutung von Kompromissen in der Politik hervor.

Michael Prock & Magdalena Raos

Schwarzach Die Koalition von ÖVP und Grünen im Bund habe viel weitergebracht – trotz aller Differenzen. Das wird Sigrid Maurer, Klubobfrau der Grünen im Nationalrat, nicht müde zu betonen. Gleichzeitig spart sie nicht mit Kritik am Koalitionspartner. Zum VN-Interview nach Schwarzach kam sie mit Eva-Hammerer, der Landeschefin der Grünen.

Wie ist so kurz vor der Wahl die Stimmung in der Koalition?

Maurer Wir arbeiten, wie versprochen, bis zur letzten Sekunde. In der Plenarsitzung wird es noch Beschlüsse zum letzten Drittel der Kalten Progression, den Pensionen und einer Dienstrechtsreform mit großen Entlastungsmaßnahmen für Lehrerinnen und Lehrer geben. Auch das Erneuerbaren-Gas-Gesetz steht noch an. Da stellt sich die Frage: Wird die Sozialdemokratie jetzt zustimmen? Andreas Babler hat es angekündigt.

Und wie ist die Stimmung?

Maurer Sie wissen, mein Arbeitsverhältnis mit ÖVP-Klubobmann August Wöginger ist exzellent. Es ist Wahlkampf, es gibt öffentliche Auseinandersetzungen und die Parteien grenzen sich voneinander ab. Aber wir arbeiten konstruktiv miteinander.

Wie viel Show steckt in diesen öffentlichen Auseinandersetzungen?

Maurer Wahlkampf ist eben immer bis zu einem gewissen Grad eine harte Auseinandersetzung. Aber es ist auch der Versuch, die eigenen Wählerinnen und Wähler zu überzeugen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Wortwahl etwa der Kollegin Karoline Edtstadler, die regelmäßig mit großen Worten unsere beiden Ministerinnen angreift, aber eh regelmäßig einfährt, ob diese Wortwahl zuträglich ist. Edtstadler, immerhin Juristin und Verfassungsministerin, hat sich auch beim Renaturierungsgesetz groß hervorgetan. Jetzt startet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht einmal Ermittlungen.

Ist dieser Streit nun beigelegt?

Maurer Es geht bei diesem Renaturierungsgesetz um nichts Geringeres als den Schutz unserer Natur, die Sicherung der Lebensgrundlagen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hat das getan, was notwendig war und sich nicht vor der Verantwortung gedrückt. Das war absolut rechtmäßig, das sagen alle Juristinnen undExperten. Und die aktuelle Hochwasser-Katastrophe zeigt sehr deutlich – wir werden Renaturierungen brauchen, um die Menschen zu schützen. Da kann sich die ÖVP noch so auf den Kopf stellen.

Interview mit Grünen Klubobfrau Sigi Maurer
Maurer und Eva Hammerer, Klubchefin der Grünen im Landtag. VN/Steurer

Auch bei der Handysicherstellung sind sich ÖVP und Grüne nicht einig. Sind die Verhandlungen endgültig gescheitert?

Maurer Das Gesetz ist vorbereitet und an sich fertig. Es geht um Details. Bis 1. Jänner 2025 muss das Gesetz repariert sein. An dieser Stelle kann ich als Abgeordnete und Klubobfrau sagen: Das Parlament kann eigenständig Dinge beschließen. Es braucht dafür nicht eine bereits gebildete Regierung. Die ÖVP versucht alles, um die Berichterstattung über ihre Korruptionsfälle und Korruptionschats einzuschränken oder sie überhaupt zu behindern. Das sieht man an den Verhandlungen zu diesem Gesetz, wo die ÖVP-Verhandler sogar die Verwertung von Zufallsfunden untersagen wollten. Ein Beispiel: Man hat einen Cybercrime-Fall, beschlagnahmt ein Handy und findet zufällig Darstellungen von Kindesmissbrauch. Das könnte nicht verfolgt werden.

Das heißt, dass das Parlament das Gesetz im Herbst beschließen könnte – an der ÖVP vorbei?

Maurer Mehrheiten müssen sich finden. Aber natürlich, das Parlament ist handlungsfähig, auch in dieser Phase nach der Wahl, und könnte eine neue Regelung beschließen.

Interview mit Grünen Klubobfrau Sigi Maurer
Sigi Maurer macht für gescheiterte Verhandlungen zum Pensionssplitting und zur Handysicherstellung die ÖVP verantwortlich. VN/Steurer

Beim automatischen Pensionssplitting gab es jetzt noch einmal kurz vor der Wahl einen Vorschlag von grüner Seite. Woran ist es gescheitert?

Maurer Es scheitert hier an der ÖVP. Wir haben mehrere Vorschläge gemacht, wir haben viele Stunden verhandelt. Jetzt gibt es einen Vorschlag, der dem, was ÖVP-Ministerin Susanne Raab eingebracht hat, komplett entspricht. Aber es besteht einfach kein Interesse mehr an der Umsetzung. Die ÖVP möchte nicht mehr verhandeln.

Werfen wir einen Blick nach Vorarlberg. Im Hintergrund arbeitet man im Land an einem Pilotversuch zur Gemeinsamen Schule. Wie groß sehen Sie die Chancen, dass sich in der Bundespolitik irgendwann Mehrheiten zu einer Gemeinsamen Schule finden lassen?

Maurer Jetzt haben wir die Wahl. Es ist klar, dass wir Grüne dafür sind. Es schmerzt mich bitterlich, dass ein breiter Beschluss für Modellregionen bei der Bildungsreform 2014 nicht gelungen ist.  Vorarlberg war wahnsinnig gut vorbereitet. Im Bund ist das ist natürlich eine Frage der nächsten Regierungund in diesem Fall auch eine Frage von Zwei-Drittel-Mehrheiten.

Hammerer Es gibt in Vorarlberg einen Lenkungsausschuss Gemeinsame Schule, wo ich Mitglied bin und weiß, dass im Fall der Modellregion, verordnet über ganz Vorarlberg, ein großer Wurf tatsächlich schwierig ist. Aber für die kleinen Modelle gibt es rein theoretisch grünes Licht vom Bund. Dazu müssen ganz viele Fragen auch rechtlich geklärt werden.

Wie weit ist der Lenkungsausschuss?

Hammerer Die letzte Sitzung wurde leider abgesagt. Ich habe das Gefühl, dass die ÖVP jetzt einmal die Wahlen abwarten möchte und schauen will, in welche Richtung es geht. Beim Ausschuss davor war ich sehr positiv überrascht, dass viele grundlegende Fragen schon geklärt wurden.

Interview mit Grünen Klubobfrau Sigi Maurer
Maurer: “Es schmerzt mich bitterlich, dass die Umsetzung der Modellregion bei der Bildungsreform 2014 nicht gut gelungen ist.” VN/Steurer

Sie haben zu Beginn des Interviews die Wortwahl angesprochen. Warum hat sich die Wortwahl in der politischen Auseinandersetzung so entwickelt?

Maurer Die politische Auseinandersetzung ist ein Kampf um Positionen, um Interessen. Wen vertrete ich und was will ich politisch erreichen. Das ist legitim, das ist Demokratie. Genauso wie das Finden eines Kompromisses, das ist der Kern der Demokratie. Ich bin nicht einverstanden damit, immer alles als Streit abzutun, nur weil man unterschiedliche Meinungen hat. Die ÖVP und die Grünen sind in vielen Punkten meilenweit auseinander und trotzdem ist es in diesen fünf Jahren gelungen, sehr viel auf den Boden zu bringen. Ein Abrüsten der Worte wäre aber dringend notwendig.

Die Grünen waren einmal in vielen Landesregierungen. Mittlerweile sitzen sie nur noch in Vorarlberg in der Regierung. Haben Sie Angst, dass auch die grüne Regierungsbeteiligung im Land zu Ende geht?

Maurer Angst habe ich generell nicht. Die Grundsatzentscheidung wird sein: Gibt es eine Koalition mit den Blauen oder mit den Grünen? Wenn man weiterhin die Grünen in der Regierung haben will, wird man sie auch wählen müssen.