Migrationsexperte Knaus: “Magnus Brunner ist die letzte Chance der EU”

Der Architekt des EU-Türkei-Deals über die Nominierung von Magnus Brunner als EU-Migrationskommissar. “Wir brauchen den Bodenseeblick auf die europäische Migrationspolitik.”
Schwarzach Der Vorarlberger Magnus Brunner wird so etwas wie der europäische Innenminister. Als zukünftiger Kommissar für Migration und innere Angelegenheiten hat er eines der herausforderndsten Ressorts der EU-Kommission erhalten, sagt Migrationsforscher Gerald Knaus. Knaus hat für die EU den EU-Türkei-Deal mitverhandelt und kennt die Probleme in der europäischen Asylpolitik wie kaum ein anderer. Er hält Brunner für eine gute Wahl, wie er im VN-Interview ausführt.
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Magnus Brunner übernimmt das Migrationsressort der EU. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in diesem Bereich?
Knaus Ohne Übertreibung kann man sagen, dass für Europas Demokratien in den nächsten fünf Jahren wenige Themen so wichtig sein werden wie dieses. Es geht um drei Dinge, bei denen man der Bevölkerung zeigen muss, dass sie die EU nach zehn Jahren des Scheiterns doch schafft. Erstens: Europarecht muss wieder überall angewendet werden. Zweitens: Es muss weniger Tote im Mittelmeer geben. Und drittens: Die irreguläre Migration muss drastisch gesenkt werden.
Zehn Jahre des Scheiterns?
Knaus Die EU hat zehn Jahre lang Pläne verfolgt, die sehr wenig bewirkt haben. Man hat Frontex gewaltig ausgebaut, mit einem großen Budget ausgestattet, es wurden zahlreiche Rechtsänderungen durchgeführt, und alles mit wenig Wirkung. Darum ist es nicht schlecht, wenn jemand von außen kommt, der nicht schon lange am Thema arbeitet. Er kann sich ansehen, was objektiv gut funktioniert hat und weshalb wir mit so vielen Plänen, die gut klingen, gescheitert sind.
Warum ist das Thema so wichtig für Europas Demokratie?
Knaus Weil die Freunde Putins, die Feinde der Menschenrechtskonvention und der Demokratie, mit dem Thema am meisten Erfolg haben. Und jetzt kommt jemand aus dem Rheintal in Vorarlberg, also einer Region, die wie kaum eine andere auf der Welt von der Öffnung der Grenzen profitiert hat. Der Wohlstand in der Region ist auch durch das Verschwinden von Grenzen rund um den Bodensee entstanden. Das zu bejahen und nicht leichtfertig zu opfern, gleichzeitig aber eine mehrheitsfähige europäische Migrationspolitik zu verfolgen, ist eine riesengroße Herausforderung, die nur mit einem anderen Ansatz zu erreichen ist. Wir brauchen den Bodenseeblick auf die europäische Migrationspolitik.
Hat Magnus Brunner nur wegen des Bodenseeblicks dieses Amt bekommen? Oder sehen Sie noch andere Gründe?
Knaus Ich halte es für eine kluge Entscheidung. Österreich ist ein Land, das klar sagt, dass man irreguläre Migration reduzieren muss und auch relativ wenig aussichtslose Asylanträge annimmt. Gleichzeitig war Österreich das Land, das in den letzten Jahren trotz großem Druck die Rechtsstaatlichkeit verteidigt hat. Kein Land hat in den letzten Jahren pro Kopf so viel Schutz vergeben wie Österreich. Die Schwierigkeit besteht jetzt darin, in Europa eine gemeinsame Lösung zu finden, wo doch so viele Staaten in Wirklichkeit gegeneinander agieren. Dafür braucht es Pragmatismus. Ich erinnere mich daran, wie es während der Flüchtlingskrise in Vorarlberg möglich war, dass alle Gemeinden Asylsuchende aufgenommen haben, auch FPÖ-regierte Gemeinden. Der Pragmatismus, zu sagen: Wir lösen die Probleme ohne Illusionen, aber mit Blick darauf, dass sie eben gelöst werden müssen, um Ängste zu entfernen, wäre auf europäischer Ebene ein Durchbruch.
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Wo sehen Sie die Gefahren für Brunner?
Knaus In Brüssel werden jetzt alle sagen: Wir haben alles vorbereitet, man muss es nur noch umsetzen. Das wäre fatal. Fast nichts, was vorbereitet wurde, inklusive der großen Asylreform, wird die Wende bringen, die wir brauchen. Ich hoffe, dass er die Bereitschaft mitbringt, sich alles sehr kritisch anzuschauen. Wenn es dieser Kommission nicht gelingt, Schengen und Asyl zu regeln, dann ist Schengen Geschichte. Brunner ist sozusagen die letzte Chance der EU.
Wie realistisch ist eine große europäische Asylrechtsreform?
Knaus Das Dublin-System sieht auf Papier gut aus, wird aber nie funktionieren. So wird es auch mit der Asylrechtsreform sein. Man kann einen großen Aufwand betreiben, am Ende wird sie wie Dublin scheitern. Dafür gibt es andere Dinge, die man tun kann. Der Fokus muss darauf liegen, die irreguläre Migration von außen zu reduzieren.
Wird Brunner Österreichs Blockade des Schengenbeitritts von Rumänien und Bulgarien jetzt auf den Kopf fallen?
Knaus Damit hat Brunner persönlich als Finanzminister ja nichts zu tun gehabt. Wir brauchen an der bulgarisch-türkischen Grenze effektive Kontrollen und ein neues Abkommen mit der Türkei. Wenn wir an den Außengrenzen die Kontrolle haben, könnte der ganze Balkan Schengen beitreten. Entscheidend ist, dass sich die EU aufs Wesentliche konzentriert. Für Österreich, Deutschland und der Schweiz ist die Grenze zur Türkei bei Weitem die wichtigste.