Bundeskanzler Stocker zur Budgetsituation: “Alles Magnus Brunner anzulasten, halte ich nicht für fair”

Politik / 18.07.2025 • 11:03 Uhr
Bundeskanzler Stocker zur Budgetsituation: "Alles Magnus Brunner anzulasten, halte ich nicht für fair"
VN/RhombergChristian Stocker war im Rahmen der Festspiele auch bei den VN zu Gast.

Die Regierung würde aber alles dafür tun, dass sie nicht mehr von einem hohen Defizit überrascht wird, sagt der Kanzler im VN-Interview auf “Vorarlberg Live”.

Schwarzach Bundeskanzler Christian Stocker hält nicht viel davon, das gesetzliche Pensionsantrittsalter zu erhöhen. Zunächst müssten die Unternehmen verstärkt ältere Menschen anstellen, bevor man noch ältere Menschen in die Arbeitslosigkeit schickt, weil sie keinen Job finden. An der Kassenreform von damals hält er fest. Als nächstes ist die Sozialhilfe an der Reihe, erklärt er im VN-Interview auf “Vorarlberg Live”.

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Die Sommerpause naht, danach geht es mit einem großen Brocken weiter. Sie wollen die Sozialhilfe reformieren und die Sätze vereinheitlichen. Das heißt, Sie greifen in Länderkompetenz ein. Spielen die Landeshauptleute mit?

Stocker Es liegt sicher auch im Interesse der Länder, einheitliche Sätze einzuführen, was bedeuten würde, dass jeder überall den gleichen Betrag bekommt. Dass unterschiedlich hohe Sozialhilfesätze Motivation für eine Ansiedlung in einem bestimmten Bundesland sind, ist einfach nicht zielführend. Die Höhe der Sätze sollte keine Motivation für die Ansiedlung sein. Die Sozialhilfe ist für die Deckung der Grundbedürfnisse da.

Dafür müssen Menschen aber je nach Bundesland unterschiedlich viel Geld in die Hand nehmen. Das Leben im Westen Österreichs ist teurer. Sind einheitliche Sätze da wirklich sinnvoll?

Stocker Das muss man sich ansehen. Die Frage ist, ob das in die Elementarabdeckung durchschlägt. Wir sind am Beginn der Verhandlungen.

Eine andere Reform haben Sie kürzlich beschlossen, nämlich jene der Pension. Das gesetzliche Antrittsalter von 65 Jahren blieb aber unangetastet. Soll es unangetastet bleiben?

Stocker Die Reform soll Verbesserungen beim faktischen Pensionsalter bringen. Gelingt es, den Pensionsantritt der Menschen um nur einen Monat näher an das gesetzliche Pensionsalter heranzuführen, bringt uns das zwischen 100 und 200 Millionen Euro zusätzlich im Haushalt. Das sind im Jahr zwischen 1,2 und 2,4 Milliarden Euro, also riesige Summen.

Bundeskanzler Stocker zur Budgetsituation: "Alles Magnus Brunner anzulasten, halte ich nicht für fair"
VN/RhombergStocker: “Das liegt auch in der Verantwortung der Wirtschaft, Menschen in diesem Alterssegment anzustellen.”

Das gesetzliche Antrittsalter bleibt auch mittelfristig unangetastet?

Stocker Die Ziele, die wir erreichen wollen, sind klar. Und sollten wir sie nicht erreichen, gibt es über den Nachhaltigkeitsmechanismus einen Strauß von Maßnahmen, die man ergreifen kann. Das gesetzliche Pensionsalter ist dort sogar erwähnt. Aber wir müssen uns vor allem über die Differenz zwischen dem gesetzlichen und dem faktischen Antrittsalter unterhalten. Das liegt auch in der Verantwortung der Wirtschaft, Menschen in diesem Alterssegment anzustellen. Die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, indem wir das Antrittsalter erhöhen, kann nicht die Zukunft sein.

Sie nehmen also auch die Unternehmen in die Verantwortung?

Stocker Jeder wird seinen Beitrag leisten müssen.

Umgekehrt nimmt die Wirtschaft Sie in Verantwortung. Martin Hagleitner, CEO von Austria Email, kritisierte kürzlich in den VN die Bundesregierung und die ÖVP scharf. Österreich sei im Standortvergleich Schlusslicht und exportiere Arbeitsplätze statt Produkte.

Stocker Es ist kein Geheimnis, dass wir nicht zufrieden sein können, wenn wir in wesentlichen Parametern der Wirtschaftsleistung in Europa nicht ganz vorne sind und teilweise nicht einmal mehr im Mittelfeld mitspielen. Deshalb wird es in Zukunft darum gehen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, dafür gibt es viele Ansätze. Wir haben zum Beispiel bei den Energiegesetzen vieles auf den Weg gebracht, das helfen kann. Wir werden einen Krisenmechanismus für den Strompreis festlegen, dafür brauchen wir aber eine Zweidrittelmehrheit. Hier ist die Opposition in Verantwortung. Auch einen Sozialtarif haben wir gefunden, was wiederum hilft, die Inflation zu bekämpfen und damit auch der Wirtschaft eine bessere Position bei Lohnabschlüssen verschafft.

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VN/RhombergStocker: “Es ist kein Geheimnis, dass wir nicht zufrieden sein können, wenn wir in wesentlichen Parametern der Wirtschaftsleistung in Europa nicht ganz vorne sind und nicht einmal mehr im Mittelfeld.”

Apropos Reform: Eine solche aus dem Jahr 2020 sorgt derzeit für Diskussionen, und zwar die Zusammenlegung der Krankenkassen. Mehrere Landeshauptleute kritisieren die Reform, unter anderem Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner. Er fordert mehr Spielräume für Länderkassen. War die Reform ein Fehler?

Stocker Nein. Und niemand möchte, dass wir die Zahl der Kassen wieder von fünf auf 21 erhöhen. Das Ziel muss weiterhin lauten, dass die Ziele der Reform erreicht werden und die Versorgungssicherheit verbessert wird. Natürlich geht es auch um die Frage der Finanzierungsströme. Das ist ein Thema, das wir in einer Reformpartnerschaft zwischen Bund, Ländern und Gemeinden angehen werden.

Der frühere Gesundheitsminister Johannes Rauch sieht die geteilten Finanzierungsströme als einen der Hauptgründe, weshalb das Gesundheitssystem im Land nicht reformiert werden kann.

Stocker Das ist eine späte Einsicht.

Er sagt auch, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, dieses Thema anzugehen. Wenn Sie absolut freie Hand hätten, würden Sie eine Finanzierung aus einer Hand befürworten?

Stocker In Österreich gibt es diese absolute freie Hand nicht. In unserem System dauert es manchmal etwas länger und ist manchmal etwas komplizierter, aber daraus hat sich oft eine bessere Lösung entwickelt. Ich komme aus der Kommunalpolitik, kenne die Landes- und Bundesebene und bin ein Freund des Interessenausgleichs. Weder der pure Föderalismus noch der pure Zentralismus ist die Lösung.

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VN/RhombergStocker: “Weder der pure Föderalismus noch der pure Zentralismus ist die Lösung.”

Auch die Länder müssen zum Stabilitätspakt beitragen, sagt die Bundesregierung. Vorarlbergs Landesregierung hat in einem halben Jahr 50 Millionen Euro zusätzliches Sparpotenzial gesucht und 33 Millionen gefunden. Mehr ist nicht mehr drin. Was können die Länder noch beitragen?

Stocker Das entscheiden die Länder. Ich trage Verantwortung für den Bundeshaushalt.

Werden Sie den Ländern eine Prozentzahl oder Summe vorgeben?

Stocker Grundsätzlich muss klar sein: Für die Landesbudgets tragen die Länder die Verantwortung. Wir wollen aber keine Situation mehr, in der wir am Ende das gesamtstaatliche Defizit nicht abschätzen können und dann von der Höhe überrascht werden. Das heißt, wir brauchen Zahlenwahrheit – und das öfter, als einmal im Jahr.

Sehen Sie da auch Versäumnisse beim früheren Finanzminister Magnus Brunner?

Stocker Nein, die Wirtschaftsdaten werden ja nicht vom Finanzministerium erhoben, sondern von Wirtschaftsforschern und wissenschaftlichen Institutionen. Ich möchte niemandem etwas vorwerfen. Brunner hat sich auf Prognosen der Wirtschaftsforscher verlassen. Dass die Entwicklung dann anders war, als von ihnen prognostiziert, mussten auch die Wirtschaftsforscher zur Kenntnis nehmen. Alles Magnus Brunner anzulasten, halte ich nicht für fair.

Wobei die Wirtschaftsforscher dann schon länger gewarnt haben.

Stocker Die Forscher haben eine Prognose erstellt, dann wurde damit das Budget gemacht und beschlossen. Und dann haben die Forscher gesagt: Vielleicht geht es sich aus, vielleicht nicht. Prognosen haben Unsicherheiten. Und wenn die Politik bei jeder Prognose das Budget anpasst, wird das System instabil.

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VN/RhombergStocker: “Wenn die Politik bei jeder Prognose das Budget anpasst, wird das System instabil.”

Bei Ihrem Amtsantritt gaben Sie das Ziel aus, wieder mehr Zuversicht und Optimismus zu verbreiten. Derzeit sieht es nicht danach aus. Wie wollen Sie das Ziel erreichen?

Stocker Die Bundesregierung arbeitet und verkauft keine Luftschlösser. Wir versuchen, Ergebnisse zu liefern, die die Zahlen verbessern. Und mit diesen Zahlen können wir Optimismus und Zuversicht aufbauen. Ich will das Land reformieren und entrümpeln. Ich will, dass Österreich in Europa wieder ganz vorne mitspielt.

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VN/RhombergStocker: “Ich will das Land reformieren und entrümpeln. Ich will, dass Österreich in Europa wieder nach vorne kommt.”