Eine Mehrheit, die keine ist
Nichts an diesem Wahlergebnis ist überraschend und doch ist Vieles, eigentlich alles, offen. Mit der FPÖ gewinnt eine Partei, die sich in den letzten Jahren immer stärker radikalisiert hat, Feindbilder schürt und ein angebliches System bekämpft. Die SPÖ hat sich in der Dichotomie von Arm und Reich verloren und ein Problem mit Grammatik, die Grünen kämpfen tapfer, aber besserwisserisch für den Klimaschutz, die Neos laufen als Vernunftpartei eine solide Rundenzeit und die Kleinstparteien werben völlig erfolglos, aber dennoch folgenreich den größeren Parteien jene Stimmen ab, die sie so dringend gebraucht hätten. Die ÖVP hat sich auf den letzten Kilometern als Partei der Mitte inszeniert – doch kann man das alleine sein, eine Mitte? Liegt nicht die Mitte erst im koalitionären Schulterschluss? Um einen solchen geht es jetzt und um ein demokratisches Verständnis der Mehrheit, die nicht darin liegt, Stimmenstärkster bei einer Wahl zu sein, sondern eine Mehrheit (also über 50%) im Parlament zu erwirken. Daran ist auch die SPÖ mit Viktor Klima bereits einmal gescheitert. 1999 war die SPÖ stimmenstärkste Partei, doch die Regierung wurde schließlich Schwarz-Blau I mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Insofern hat Herbert Kickl nicht recht, wenn er schon jetzt im Trumpschen Stil suggeriert, man würde versuchen, „der FPÖ die Wahl zu stehlen“. Die Ironie der Geschichte: die FPÖ hat sogar selbst schon einmal von dieser Regelung profitiert – war das damals undemokratisch? Mitnichten. Die FPÖ hat sich durch radikale Parolen selbst in eine Form der Isolation getrieben. Ob sie sich daraus befreien kann, indem sie ihre radikalen Positionen verlässt und die Personalfrage zulässt, oder ob die weniger radikalen Kräfte, also jene, die gemeinschaftlich eine Mitte formieren könnten, zueinander finden, werden die nächsten Wochen zeigen. Unabhängig davon klebt an Österreich wieder einmal der Makel eines Rechtsrucks. Das ist nicht weniger schmerzlich unter dem Blickwinkel der Tendenzen, die es diesbezüglich auch in anderen Staaten Europas gibt.
Verena Konrad ist Kunsthistorikerin und leitete das Vorarlberger Architektur Institut
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