Jetzt runter vom Gaspedal

Politik / 29.09.2024 • 19:59 Uhr
Jetzt runter vom Gaspedal

Angekündigte Revolutionen finden nicht statt, sagt man. Solche Weisheiten haben es an sich, dass sie nicht immer zutreffen. Wie an diesem Sonntag. Monatelang sagten Umfragen und Experten einen Wahlsieg der FPÖ voraus. Und siehe da: Die Revolution trat ein. Damit stehen Österreich unruhige Zeiten bevor. Denn wie auch immer sich die Politik und der Bundespräsident entscheiden, es wird zu heftigen Diskussionen führen und die Landtagswahl in zwei Wochen beeinflussen.

Szenario eins: Bundespräsident Alexander Van der Bellen beauftragt Karl Nehammer mit der Regierungsbildung, der sich die SPÖ und vielleicht einen dritten Partner ins Boot holt. Das würde in Vorarlberg den schwarz-blauen Befürwortern den Wind etwas aus den Segeln nehmen. Besagten Wind hätten dann aber die Blauen im Rücken. Die Opferrolle, gepaart mit “jetzt erst recht”, könnte ihnen noch einmal zusätzlichen Auftrieb geben – neben der Freude über den Wahlsieg.

Szenario zwei: Van der Bellen wird doch – wie sonst üblich – den Obmann der stärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragen. Herbert Kickl muss plötzlich die ÖVP umgarnen, die schon am Wahlabend angekündigt hat, nicht als Juniorpartner zur Verfügung zu stehen. Nun kennen wir den Wert solcher Ankündigungen. Doch Kickl müsste sich die Kanzlerschaft teuer erkaufen und könnte sich vorerst schwer in die Opferrolle zurückziehen. Der blaue Proteststurm bliebe im Land aus. Im Gegenzug erhielte die FPÖ das Etikett „regierungsfähig“ zurück, das sie sich einst in Ibiza selbst vom blauen Anzug gerissen hatte. Ein Bonus für Christof Bitschi, der bekanntlich mit Markus Wallner in eine Regierung möchte.

Szenario drei: Alexander Van der Bellen beauftragt die ÖVP mit der Regierung, die sich dann trotzdem mit der FPÖ einigt. Das würde der FPÖ die Opferrolle und die Regierungsfähigkeit bescheren. Allerdings erst weit nach der Landtagswahl, denn kommende Regierungsverhandlungen dürften schwierig werden.

Das sollte die Parteien jedoch nicht daran hindern, sich rasch auf Verhandlungspartner zu einigen – statt bis ins neue Jahr zu sondieren, bevor verhandelt wird. Dann gäbe es nur Verlierer: Das Vertrauen in die Politik würde weiter schwinden, und wir Bürgerinnen und Bürger müssten lange warten. Deshalb: So hart die Linien im Wahlkampf gezogen wurden, so sehr müssen sie jetzt aufgeweicht werden. Kompromisse statt roter Linien sind jetzt gefragt.

Dazu müsste sich aber vor allem Kickl in seiner Radikalität stark zurücknehmen. Das könnte auch den Vorarlberger Wahlkampf in den kommenden zwei Wochen prägen. Kein Vorbild Orbán, keine Schimpftiraden auf politische Kontrahenten, keine Diffamierung politisch Andersdenkender. Dann fände auch die angekündigte Revolution nicht statt – sondern ein normaler, demokratischer Machtwechsel. Es wäre uns zu wünschen.