Nach der Wahl ist der Bundespräsident am Zug: “Er darf nicht willkürlich handeln”

Die Rolle von Alexander Van der Bellen ist zentral. Er muss eine Person mit der Regierungsbildung beauftragen. Welche das ist, bleibt vorerst unklar. Der Vorsitzende der stimmenstärksten Partei – Herbert Kickl – erhält dieses Ticket keineswegs fix.
Schwarzach Die Wahl ist geschlagen, nun ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Wort. Er beauftragt eine Person mit der Regierungsbildung und ernennt den Bundeskanzler. Es ist jedoch nicht vorgeschrieben, dass zwangsläufig die stärkste Partei im Parlament für die Regierungsspitze zum Zug kommt. Van der Bellen kündigte an, persönlich mit den im Nationalrat vertretenen Parteien Gespräche zu führen. Welche Kompetenzen er hat und wie es nun weitergeht, erklärt Verfassungsjurist Peter Bußjäger im VN-Gespräch.
Wie sieht die übliche Vorgehensweise eines Bundespräsidenten nach der Wahl aus?
Bußjäger Die jeweils amtierende Bundesregierung hat nach jeder Nationalratswahl dem Bundespräsidenten den Rücktritt angeboten und der Bundespräsident hat diese amtierende Bundesregierung mit der einstweiligen Fortführung der Geschäfte betraut, bis die neue Bundesregierung bestellt ist. Üblicherweise beauftragt der Bundespräsident den Vorsitzenden der stimmenstärksten Partei, Regierungsverhandlungen zu führen.
Kann er auch jemand anderen beauftragen?
Bußjäger Prinzipiell ist der Bundespräsident in seiner Entscheidung frei. Er muss sich von sachlichen Erwägungen leiten lassen. Er darf nicht willkürlich vorgehen. Nur weil er jemanden nicht mag, darf er ihn nicht übergehen.

Muss der Bundespräsident Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragen?
Bußjäger Nein. Der Bundespräsident ist lediglich darangehalten, aus sachlichen Gründen zu handeln. Wenn er der Meinung ist, ein bestimmter Kandidat ist nicht in der Lage, eine stabile Regierung zu bilden, muss er ihn nicht mit der Regierungsbildung beauftragen. Das Gleiche gilt, wenn er Bedenken hat, dass Grundwerte in der Verfassung infrage gestellt werden – etwa die Mitgliedschaft in der EU.

Könnte Alexander Van der Bellen einen anderen FPÖ-Politiker, etwa Norbert Hofer oder Dagmar Belakowitsch, mit der Regierungsbildung beauftragen?
Bußjäger Ja. Das wäre zulässig.
Sollte der Bundespräsident Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragen: Wie lange kann Herbert Kickl sondieren? Wie lange könnte es dauern, bis Van der Bellen sagt, er bestimmt eine andere Person für die Regierungsbildung?
Bußjäger Darüber schweigt sich die Verfassung völlig aus. Selbstverständlich wird man dem jeweiligen Kandidaten eine gewisse Zeit geben müssen. Kehrt der Kandidat nie zum Bundespräsidenten zurück, um zu erklären, dass er keine Koalition zustande bringt, kann der Bundespräsident jederzeit einen anderen mit der Regierungsbildung beauftragen.
Was passiert, wenn gar keine Regierung zustande kommt?
Bußjäger Dann könnte der Bundespräsident einen anderen zum Kanzler ernennen, der etwa eine Expertenregierung bilden soll. Er könnte auch eine Minderheitsregierung einsetzen. Die Optionen sind nahezu unbegrenzt.
Ohne den Rückhalt im Nationalrat wird aber keine Regierung bestehen, richtig?
Bußjäger Das ist das entscheidende Kriterium für das Handeln des Bundespräsidenten. Er muss darauf Bedacht nehmen, dass die von ihm eingesetzte Regierung Aussicht auf eine stabile Mehrheit im Nationalrat hat.

Könnte Van der Bellen Kickl beauftragen, Regierungsgespräche zu führen, ihn dann aber nicht als Kanzler angeloben?
Bußjäger Rein rechtlich wäre das eine Option. Ob es politisch sinnvoll wäre, jemanden mit der Regierungsbildung zu beauftragen und ihm zu sagen, er wird nicht Kanzler, bleibt dahingestellt. Das wäre ein sehr widersprüchliches Verhalten.
Kann der Bundespräsident künftige Minister oder Ministerinnen ablehnen?
Bußjäger Der Bundespräsident ernennt den Kanzler. Er kann sich die Minister nicht aussuchen. Hier ist er auf den Vorschlag des Kanzlers angewiesen. In der Praxis läuft es so, dass der in Aussicht genommene Kanzler dem Bundespräsidenten eine Ministerliste vorlegt. Gibt es keinen Einwand, kann der formale Prozess seinen Lauf nehmen. Es gibt Beispiele in der Vergangenheit, dass die Ministerliste auch schon geändert wurde.
Könnte der Nationalrat am Bundespräsidenten vorbei eine Koalition bilden und eine Regierung stellen?
Bußjäger Es braucht immer den Präsidenten. Der Nationalrat hat allerdings das mächtige Instrument des Misstrauensvotums, mit dem er natürlich den Bundespräsidenten konterkarieren kann. Jeder ist auf den anderen angewiesen.
Kann der Bundespräsident inhaltlich auf die künftige Regierung einwirken?
Bußjäger Nur auf informellem Weg. Er kann darauf hinwirken, dass bestimmte Passagen in eine Regierungserklärung aufgenommen werden, dass bestimmte Vorbehalte gemacht werden. Aber es wäre unüblich und mit unserem System nicht vereinbar, wenn der Bundespräsident am Verhandlungstisch sitzen würde. Das ist nicht seine Aufgabe.
