Moosbrugger: “Bei der Renaturierung sollte nicht gegen die Landwirtschaft gearbeitet werden”

Politik / 03.11.2024 • 08:00 Uhr
Josef Moosbrugger
Josef Moosbrugger ist seit 25 Jahren Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich. Im VN-Gespräch berichtet er über Erfolge und neue Herausforderungen. Beate Rhomberg

Josef Moosbrugger ist seit einem Vierteljahrhundert der führende Kopf der Landwirtschaftskammer. Im VN-Interview berichtet er, vor welchen Herausforderungen die Bäuerinnen und Bauern stehen und welche Chancen insbesondere in Vorarlberg liegen.

Wien Seit 25 Jahren prägt Josef Moosbrugger als Präsident der Landwirtschaftskammer Österreichs Agrarpolitik. Im Gespräch mit den VN zog er Bilanz, was gelungen ist und welche neuen Herausforderungen für die Bäuerinnen und Bauern dazu gekommen sind. Er fordert einen Abbau der Bürokratie, keine Übererfüllung der EU-Vorgaben und kritisiert Wettbewerbsverzerrungen.

Was waren die brennenden Themen in der Landwirtschaft, als sie 1999 Präsident der LWK wurden?

Moosbrugger: Ich kam aus der Landjugend, war zuvor auch schon Mitglied in der Kammervollversammlung. Ich habe den EU-Beitritt sehr genau miterlebt. Damals stand die Herausforderung im Vordergrund, die gemeinsame Agrarpolitik bei den Bauern umzusetzen. Aber auch damals beschäftigten uns schon die Themen Preisentwicklung auf den Märkten und Bürokratie.

Moosbrugger: "Bei der Renaturierung sollte nicht gegen die Landwirtschaft gearbeitet werden"
Ein Foto von 1999, in diesem Jahr wurde Josef Moosbrugger Präsident der Landwirtschaftskammer. bernd hofmeister

Eigentlich hat sich dabei nicht viel verändert?

Moosbrugger: Ja und nein. Dass wir uns in einem europäischen Wettbewerb bewegen, ist das eine. Aber es hat sich in der Landwirtschaft enorm viel verändert. Aus meiner Sicht hat sie sich enorm beweglich auf die Herausforderungen gezeigt, etwa durch die Direktvermarktung. Die Politik kann die Preise nicht gestalten, nur die Rahmenbedingungen. Aber einiges ist auch in diesem Bereich gelungen.

Moosbrugger: "Bei der Renaturierung sollte nicht gegen die Landwirtschaft gearbeitet werden"
Damals wie heute ist die Preisgestaltung ein großes Thema: “Neuausrichtung und Neustrukturierung der Vorarlberger Milchwirtschaft mit dem klaren Ziel, für die Bauern den denkbar besten Milchpreis zu erreichen, werde ein Hauptbemühen im neuen Jahr sein”, erklärte Moosbrugger Ende 1999 auf der ersten von ihm geleiteten ordentlichen Vollversammlung. Bernd Hofmeister

Können Sie darüber mehr erzählen?

Moosbrugger: Auf Bundesebene wurde etwa die Beschwerdestelle eingerichtet, um gegen unfaire Handelspraktiken vorgehen zu können. Bei der öffentlichen Beschaffung wird mehr auf Regionalität geachtet und die Herkunftskennzeichnung für Milch, Fleisch, Eier in der Verpflegungsgastronomie wurde umgesetzt.  Wir haben enorme Krisen bewältigt. Eine, die dazugekommen ist und weiterhin besteht, ist der Klimawandel.

Wie geht es den Vorarlberger Bauern damit?

Moosbrugger: Es gibt drei Gesichtspunkte: Der Kampf gegen den Klimawandel, Risikomanagement und Anpassung. Beim ersten Punkt hat die Landwirtschaft als eine der wenigen auch Antworten. Wer kann schon CO2 im Boden speichern, außer die Land- und Forstwirtschaft? Die Potenziale müssen wir noch stärker nutzen, was nachhaltige Energie und Rohstoffe anbelangt. Da gibt es Versäumnisse. Da müssen die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Und beim Risikomanagement?

Moosbrugger: Das Risiko kann zumindest reduziert werden. Wir haben in den vergangenen Jahren ein tolles System mit der Hagelversicherung entwickelt, um das uns andere Länder beneiden. Aber auch Diversifizierung ist wichtig – mehrere Standbeine zu haben, damit quasi nicht der Gesamtbetrieb sofort betroffen ist. Bei der Anpassung berät die Landwirtschaftskammer mit einer Reihe von Projekten und Bildungsangeboten. Letztlich geht es darum, die Möglichkeiten aufzuzeigen. Das fängt bei der Bodenbewirtschaftung an, den Boden bedeckt zu halten, damit mehr Wasser gespeichert werden kann. Und geht bis hin zu der Frage, welche Pflanzen man anbaut. Aber auch Hitzeentwicklung in den Ställen kann reduziert werden.

Moosbrugger: "Bei der Renaturierung sollte nicht gegen die Landwirtschaft gearbeitet werden"
2009 im eigenen Stall für einen VN-Bericht fotografiert. Klaus Hartinger

Wie kann man den Mehraufwand für Nachhaltigkeit entgelten?

Moosbrugger: Aus meiner Sicht entwickelt es sich in die Richtung, die Klimabilanz von Lebensmitteln aufzuzeigen. Hier hat vor allem Vorarlberg sehr gute Voraussetzungen, mit seiner sehr nachhaltigen, standortangepassten und grünlandbasierten Landwirtschaft, bei der das Futter meist vom eigenen Betrieb kommt.

Da wären wir wieder beim Thema Preis.

Moosbrugger: Die öffentliche Abgeltung der Leistungen für Umwelt, Tierwohl und Gesellschaft ist der erste zentrale Zukunftsblock. Gerade bei kleinen Betrieben ist das eine ganz entscheidende Basis für die wirtschaftliche Zukunft. Der zweite Teil betrifft die Frage, was Lebensmittel wert sind. Es ist spürbar, dass die Kosten massiv gestiegen sind. Es braucht Preisanpassungen im Erzeugerbereich, weil Preis und Kosten massiv auseinanderklaffen. Der Wertschöpfungsanteil für die Landwirtschaft ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stetig gesunken. Das ist auch meine Botschaft an die neuen Regierungen, die sich gerade in Bund und Land bilden: Man kann nicht ständig alle Standards in Österreich hochschrauben und dann zählt im Regal der billigere Preis. Keine ständige Übererfüllung der EU-Standards!

Qualitativ hochwertigere Lebensmittel tun sich schwerer am Markt?

Moosbrugger: Völlig Unverständliches passiert derzeit. Dass etwa Biojoghurts billiger sind als konventionell produzierte, kann man niemandem erklären. Es geht gegen jede Logik, dass höherer Aufwand weniger Ertrag bringt. Wenn das nicht verstanden wird, wird sich die Anzahl an Bio-Betrieben in den kommenden Jahren massiv reduzieren. Daher stehen wir im Sinne der Biobauern zu unserer Forderung nach einer marktangepassten Weiterentwicklung statt ideologisch festgesetzten Quoten.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Josef Moosbrugger und Peter Feuersicher (Landesforstdienst Vorarlberg) im Wald in Grumbach. Thema "Klimafitte Wälder am Schweizberg"
Im Sommer vor zwei Jahren mit Landwirtschaftsminister Norbert TotschnigPeter Feuersicher (Landesforstdienst Vorarlberg) im Wald in Grumbach zum Thema “Klimafitte Wälder”. Der Klimawandel beschäftigt zunehmend auch Vorarlbergs Land- und Forstwirtschaft. Beate Rhomberg

Welche Punkte würden Sie der neuen Bundesregierung auf eine To-Do-Liste schreiben?

Moosbrugger: Bäuerinnen und Bauern brauchen stabile Rahmenbedingungen und Planungssicherheit, insbesondere bei den hohen Investitionen für tierfreundliche Stallbauten. Zudem geht es um die Frage der Standards. Wenn sie bei uns hoch sind, für importierte Lebensmittel aber nicht gelten, ist das eine massive Wettbewerbsverzerrung. Genau das muss die neue Bundesregierung im Auge behalten. Auch eine klare Herkunftskennzeichnung bei Lebensmitteln ist ein entscheidender Faktor. Das fehlt noch einiges, speziell für verarbeitete Produkte.

In Vorarlberg wird es wohl eine schwarz-blaue Regierung geben. Sind Sie darüber froh? Mit den Grünen gab es doch einige Reibungspunkte.

Moosbrugger: Mir ist wichtig, dass egal welche Partner in der Regierung sind, nicht ideologisch, sondern sachlich und mit Hausverstand diskutiert wird. Daher ist nicht so sehr die Farbe entscheidend, sondern der Inhalt.

Die großen Rahmen werden in Brüssel gesetzt. Durch die neue Kommission werden die Karten neu gemischt. Was erwarten Sie sich?

Moosbrugger: Es gibt mit Christophe Hansen aus Luxemburg nun wieder einen Agrarkommissar, der aus der Landwirtschaft kommt, Engagement und Verständnis dafür zeigt. Daher gehe ich davon aus, dass unser Sektor deutlich besser und mit einer starken Stimme vertreten wird. Generell muss die Kommission sicherstellen, dass die Verständlichkeit und Praktikabilität der Vorgaben klar sind und sie bei bürokratischen Anforderungen nicht das Augenmaß verliert. Das ist die letzten Jahre passiert. Diese Produktionsfeindlichkeit hat ja zu einem Bauernaufstand geführt.

Wo wurde Augenmaß verloren?

Moosbrugger: Bei dem einseitigen, Ausufernden. Maßnahmen müssen dort greifen, wo es ein Problem gibt und nicht gut Funktionierendes behindern. Da kommt jetzt etwas Bewegung hinein, etwa indem der Schutzstatus des Wolfs gesenkt wird. Da würden aber auch andere Gattungen hineingehören, etwa der Biber oder die Kormorane am Bodensee. Bei der Renaturierung sollte nicht gegen die Landwirtschaft, sondern mit der Landwirtschaft gearbeitet werden. Es geht darum, unsere Vorleistungen anzurechnen. Denn sonst sind wir die Dummen, die bei der Biodiversität mehr tun müssen, als andere. Das ist auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit und wenn ich 20 Prozent der Flächen renaturiere in Europa, dann wird das auch auf die Sicherheit der Versorgung einen massiven Einfluss haben. Deswegen müssen und wollen wir mitreden.

Ist Bäuerin und Bauer noch ein verlockender Beruf?

Moosbrugger: Ja, es gibt auch viele Chancen, die wir aufzeigen und nützen müssen. Es geht mir in meinem agrarpolitischen Wirken und Gestalten auch darum, ein Mutmacher für die Jugend zu sein. Wir müssen die Jugend motivieren einzusteigen, es soll Freude machen und geschätzt werden. Das ist das ganz zentrale Zukunftsthema, wenn wir eine Bewirtschaftung, eine Lebensmittelproduktion, eine Nachhaltigkeit in Zukunft wollen.

Wie kann man dem Fachkräftemangel entgegenwirken?

Moosbrugger: Wir haben in Vorarlberg ein starkes Bildungssystem, das etwa die landwirtschaftliche Matura ermöglicht. Bäuerliche Jugend ist am Arbeitsmarkt gefragt, das ist die starke Botschaft, die wir ständig hören. Aber wir brauchen noch vergleichbare Rahmenbedingungen, damit die Jugend auch bereit ist, sich die Arbeit anzutun. Das muss sich auch im wirtschaftlichen Erfolg widerspiegeln.