Neun Monate zu kurz? Vorarlberger Ruf nach freiwilliger Verlängerung des Zivildienstes

Politik / 10.11.2024 • 15:30 Uhr
Neun Monate zu kurz? Vorarlberger Ruf nach freiwilliger Verlängerung des Zivildienstes
Zivildiener sin din zahlreichen Organisationen gefragt. APA

Organisationen plädieren dafür, Zivis die Wahl zu lassen, ob sie ihren Dienst nach neun Monaten beenden oder verlängern wollen. Dies brächte einige Vorteile. Das Grundproblem liegt aber woanders.

Schwarzach Neun Monate Zivildienst sind genug. Eine freiwillige Verlängerung gibt es nicht mehr. Von 2006 bis 2011 war dies anders. Damals konnten Zivis ihren Dienst um drei Monate verlängern, wenn sie das wollten. Zivildienstorganisationen im Land hoffen auf eine Rückkehr zu dieser Vorgehensweise. Der Tenor: Eine freiwillige Verlängerung würde sicherlich von einigen Zivis genutzt und brächte gleichzeitig Entlastung für deren Dienstgeber. Die Rahmenbedingungen – inklusive Finanzierung – müssten aber stimmen.

Die VN hörten sich bei zahlreichen Organisationen um. Von der Aqua Mühle über die Krankenhausbetriebsgesellschaft (Khbg) und Lebenshilfe hin zum Vorarlberger Kinderdorf und Institut für Sozialdienste (Ifs). Alle verweisen auf den wertvollen Beitrag, den Zivildiener leisten. Eine freiwillige Verlängerung wäre ihrer Ansicht nach sinnvoll. Einer generellen Verlängerung der aktuell bestehenden neun Monate stehen sie in der Regel hingegen kritisch gegenüber. Der Zivildienst, der ohnehin schon länger als der Wehrdienst dauere, könnte dadurch an Attraktivität verlieren, befürchtet Monika Kawaus von der Caritas Vorarlberg. Zivis könnten nicht mit derselben Motivation an die Arbeit gehen oder sich gar nicht erst für den Zivildienst entscheiden, meint Corina Albrecht von der Kaplan Bonetti gGmbH. Maximilian Hämmerle vom Vorarlberger Gemeindeverband betont: „Wichtiger als die wiederkehrende Debatte über eine Änderung der Laufzeit ist es, die zentralen Weichen zu stellen, um das Gesundheits- und Sozialwesen zukunftsfähig zu machen. Hier sind Bund und Länder gefordert.“

Anstoß für eine optionale Verlängerung gab der Samariterbund. Könnten sich Zivildiener freiwillig entscheiden, drei Monate mehr zu leisten, wäre dies eine unmittelbar wirksame Maßnahme gegen den Zivildienst-Mangel, argumentiert die Hilfsorganisation. Immer wieder gebe es entsprechende Anfragen. Die Möglichkeit einer freiwilligen Verlängerung wurde 2011 aber abgeschafft.

Schwierige Suche

Die Suche nach Zivildienern bleibt schwierig, heißt es seitens der Lebenshilfe: „Um dem entgegenzuwirken, setzen wir auf intensive Maßnahmen wie Schulungen oder fördern den Austausch unter den Zivildienern“, sagt Petra Grasser-Mattle. Auch die KHBG berichtet davon, dass es nicht einfach sei, Zivildiener für den Gesundheits- und Sozialsektor zu finden. Laut Gemeindeverband ist die Bedarfsdeckung je nach Tätigkeitsfeld und Jahreszeit unterschiedlich. „Sie gestaltet sich jedoch nicht zuletzt aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge sowie der hohen Zahl an Untauglichen teilweise als herausfordernd“, erklärt Maximilian Hämmerle.

Im jüngsten Gesundheitsbericht der Statistik Austria ist beim Geburtsjahrgang 2004, der zum größten Teil im Jahr 2022 „gemustert“ worden ist, ziemlich genau ein Viertel der Vorarlberger „untauglich“. Österreichweit liegt die Untauglichkeit bei 16,9 Prozent.

Flexibilität gefordert

Laut Aqua Mühle wäre es hilfreich, Platzkontingente und Eintrittstermine unterjährig flexibler und bedarfsorientierter zu gestalten, erklärt Hans-Peter Bickel. Es gebe Jahre, in denen sie doppelt so viel Plätze besetzen könnten, sagt er aber auch. In anderen Jahren sei es wiederum schwieriger. Auch im Ifs wird davon berichtet, dass die Plätze im Herbst meistens relativ gut besetzt sind. Unterjährig sei es weniger einfach. Ähnliches hört man von der Caritas. Corina Albrecht erkennt bei der Kaplan Bonetti gGmbh einen Rückgang der Bewerbungen: „Prinzipiell haben wir aber das Glück, dass die meisten unserer neun Zivildienststellen immer besetzt sind.“

Nicht für alle verfügbaren Stellen lassen sich Zivis finden. 2022 standen 960 junge Männer für einen der 1100 verfügbaren Plätze in Vorarlberg bereit. 2023 waren es 891 Zivildiener für 1070 Stellen.

Freiwillige Verlängerung des Zivildienstes

Mit der Verkürzung des Präsenzdienstes auf sechs Monate folgte mit 1. Jänner 2006 die Verkürzung des Zivildienstes von zwölf auf die bis heute gültigen neun Monate. Zugleich wurde die Möglichkeit einer dreimonatigen freiwilligen Verlängerung eingeführt. Die Zivildienstserviceagentur berichtet, dass die Einrichtung nach der Verkürzung des Zivildienstes zwar einen höheren Bedarf an Zivildienstpflichtigen meldeten, dieser allerdings ausgeglichen werden konnte. So endete die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung mit 1. Jänner 2011.

Hans Peter Bickel, Aqua Mühle
“Es wäre für uns hilfreich, wenn Platzkontingente und Eintrittstermine unterjährig flexibler und bedarfsorientierter gestaltet werden könnten. Eine freiwillige Verlängerung seitens Zivildienstleistenden im Ausmaß von ein bis zwei Monaten würden wir begrüßen.” Hans-Peter Bickel, Aqua Mühle
180928 CARITAS Porrträts
“Bei Interesse gibt es bei uns (befristete) Anschlussbeschäftigungen in einem ganz normalen Dienstverhältnis. Der Mehrwert aus Sicht des Zivildieners kann beispielsweise eine sinnvolle Beschäftigung bis zum Antritt einer neuen Ausbildung, des Studiums oder Jobs sein. Aus Sicht der Caritas ist es von Vorteil, weil die Zivildiener die Abläufe kennen und routinierte Mitarbeiter sind.” Monika Kawaus, Caritas Vorarlberg
Anna Giselbrecht, ifs
“Einige Zivildienstleistende würden bestimmt auf die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes zurückgreifen. So wäre eine nahtlose Nachbesetzung der Zivildienststellen auch leichter zu gewährleisten. Eine verpflichtende Verlängerung könnte die Auswirkung haben, dass es in der Theorie zu weniger Lücken in der Besetzung kommen würde. Möglicherweise würde sie aber auch wieder mehr junge Männer davon abhalten, sich für den Zivildienst zu entscheiden.” Anna Giselbrecht, IFS
Andrea Fessler
“Die aktuellen neun Monate sind passend. Bei uns starten die Zivildiener im Oktober und bleiben bis Juni. So können sie sich anschließend im Sommer auf ihr Studium vorbereiten oder noch einer Ferialarbeit nachgehen. Eine freiwillige Verlängerung könnten wir uns natürlich vorstellen, dann wäre der Sommer abgedeckt. Wir sind in der glücklichen Lage, unsere sechs Zivildiener pro Jahr aussuchen zu können. Wir müssen eigentlich gar nicht auf die Suche gehen.” Andrea Fessler, Vorarlberger Kinderdorf
Corinna Albrecht
“Selbstverständlich ist es für die Einrichtungen angenehm, wenn sie bereits sehr gut eingelernte Zivildiener im Dienst haben. Eine freiwillige Verlängerung im Ausmaß von drei Monaten wäre sicherlich ein gutes Werkzeug, um die Einrichtungen zu entlasten.” Corina Albrecht, Kaplan Bonetti
Petra Grasser-Mattle
“Jede Maßnahme, die die Attraktivität des Zivildienstes steigert, fördert das Interesse an diesem sozialen Einsatz. Daher würden wir es sehr begrüßen, wenn Zivildiener die Möglichkeit hätten, ihren Dienst bis zu ihrem nächsten angestrebten Schritt im Berufsleben zu verlängern. Eine generelle Verlängerung halten wir für einen der größten Wirkungshebel. Allerdings sehen wir diese nur dann als sinnvoll an, wenn sie in Verbindung mit einer entsprechenden Verlängerung des Wehrdienstes erfolgt, damit beide Alternativen gleichwertig attraktiv sind.” Petra Grasser-Mattle, Lebenshilfe
Maximilian Hämmerle
“Eine freiwillige Verlängerung kann eine Maßnahme sein, um den Bedarf an Zivildienern etwas abzufedern. Gleichzeitig muss klar sein, dass es umfassenderer Lösungen und Reformen bedarf, um Herausforderungen wie dem steigenden Pflegebedarf gerecht zu werden. Bei einer freiwilligen Verlängerung sollten auch entsprechende Anreize berücksichtigt werden, um den Zivildienst attraktiver zu gestalten. Die Aufwertung des Zivildienstes, etwa durch die Anrechenbarkeit auf Pflegeausbildungen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.” Maximilian Hämmerle, Gemeindeverband