Raidl und Androsch: Warum sie fehlen

Der vorletzte Kommentar vor Weihnachten. Adventstimmung. Da sollte ein wenig Positives, Hoffnungsfrohes Platz greifen können. Nicht so leicht, angesichts der Nachrichtenlage. Sprechen wir heute daher nachdenklich, besinnlich über zwei Menschen, die fehlen werden! Claus Raidl und Hannes Androsch sind gestorben.
Claus Raidl verkörperte für mich das Gute in menschlicher, politischer und ökonomischer Hinsicht. Er kam aus kleinen Verhältnissen und hatte das innerhalb seines Wirkungsfeldes auch nie vergessen. Einerseits erinnerte er „seine“ Volkspartei stets an den von der Partei behaupteten Humanismus, wenn dieser im Machtstreben wieder einmal verloren zu gehen drohte. Er verhinderte Schlimmstes, wenn die Industrie die Rechtslage in ihrem Renditestreben so weit auslotete, dass sich nicht mehr nur gesellschaftsrechtliche Fragen stellten, sondern auch strafrechtliche. Ich erinnere mich an seinen Furor, als einige – zum Teil bis heute präsente – „Figuren“ versuchten, aus dem Niedergang der verstaatlichten Industrie persönlich immenses Kapital zu schlagen. Stichwort Privatisierung der Stahlindustrie zum Beispiel.
Aus dem Wissen über die Abgründe der Marktwirtschaft, sei es durch das ihr innewohnende prinzipiell Widersoziale, sei es durch die Versuchungen der Klüngelei, war Raidl stets bedacht darauf, diese Marktwirtschaft eng am Zügel zu führen. Persönlich blieb er ohnehin in seiner ehrlichen und gar nicht koketten Bescheidenheit ein Mensch durch und durch, freundlich, diskursbereit, aber beinhart, wenn es die Volkspartei und ihre Granden wieder einmal zu weit treiben wollten.
Bei Hannes Androsch – auch er begleitete wie Raidl mein Berufsleben über Jahrzehnte – fällt die Bilanz komplexer aus. De mortuis nil nisi bene? Dieser Satz würde zu viel Schlechtes vermuten lassen, und das hat Androsch nicht verdient. Aber ja, er war wegen Steuerhinterziehung und in der Folge des AKH-Skandals verurteilt worden. Mich hat dabei stets weniger das Geschehene gestört. Mich störte mehr, dass Androsch bis zum Schluss keine Schuldeinsicht zeigte, vielmehr politische Justiz behauptete. Aber erledigt, angesichts der im Raume stehenden Malversationen politischer Würdenträger in der Jetztzeit nur ein leises Echo aus der Vergangenheit.
Viel wichtiger für mich persönlich: Androsch war als sein Finanzminister und Vizekanzler die letzte noch lebende Verbindung zu Bruno Kreisky und dessen Epoche. Also zu den 1970er-Jahren. Er rief mir die Justizreformen von Christian Broda und die gesellschaftspolitische Kraft von Johanna Dohnal ins Gedächtnis. 50 Jahre später ist die Erinnerung an jenes „Damals“ kaum mehr abrufbar oder durch spätere Geburt einfach nicht vorhanden. Wann immer ich höre, dass sich in der Jetztzeit nichts zum Guten gewendet hätte oder gar früher alles besser gewesen wäre (und deshalb jetzt die FPÖ zu wählen sei), kann ich nur den Kopf schütteln. Dann muss man die Veränderung der ökonomischen Verhältnisse mit Fakten unterlegen. Dann muss man den Wandel der Gesellschaft hin zu Toleranz, Weltoffenheit, weg von Diskriminierung und Autoritarismus beschreiben. Und genau diese Öffnung Österreichs sah ich im Lebensbogen von Androsch, wann immer ich ihn traf.
Claus Raidl und Hannes Androsch. Menschen und Monumente, die uns abgehen werden.