Kommentar: 14 Gehälter Dummheit

Erstens: Wir diskutieren Inflation wie das Wetter. Man sagt “Teuerung”, nickt betroffen, und verwechselt Prozent mit Prozentpunkten. Wenn die Rate von 3 auf 4 steigt, ist das ein Prozentpunkt. Dass es relativ 33 Prozent mehr sind, ist eine andere Geschichte. Wer das nicht trennt, soll nicht über Mietbremsen philosophieren.
Zweitens: Lebensmittelpreise. Der Kassenbon ist keine moralische Kategorie, sondern eine Rechenaufgabe. Wer ohne Recherche “Gewinnabschöpfung” schreit, wenn die Preise steigen, hat den Unterschied zwischen Preis und Marge nicht verstanden. Preisdeckel? Klingt stark, wirkt schwach, verzerrt alles, rettet nichts.
Drittens: Wohnen. Rund um die ORF-Sommergespräche wird mit Quadratmetern jongliert wie mit Orangen am Bregenzer Wochenmarkt. Angeblich etwa, so las ich als Politikerzitat, “sind die Mieten pro Jahr um zehn Prozentpunkte gestiegen”. Steigen sie von 5 auf 5,5 Euro, sind das freilich nur 0,5 Punkte – 10 Prozent minus Inflation. Und wenn die Eigentumspreise bis Ende 2025 im Vergleich zu Anfang 2020 nominell etwa gleich geblieben sind, sind sie wegen 30 Prozent kumulierter Inflation extrem gefallen.
Viertens: Pensionen. Wir behandeln sie wie Naturrecht und finanzieren sie wie ein Preisausschreiben. Wer heute 20 ist, darf morgen die Rechnung zahlen, weil gestern jemand dafür klatschte. “Umlage” klingt so warm wie “Holzofen”, ist aber Mathematik mit Demografie, nicht Folklore.
Fünftens: Journalismus. Wir leben in einem Land, in dem auch die Medien den Unterschied zwischen “plus ein Drittel” und “minus ein Drittel” nicht erklären können: 100 minus ein Drittel sind 66,7, plus ein Drittel davon sind 88,9 — nicht wieder 100. Dasselbe Spiel bei “Zinsen rauf um 1 Prozent” – nein: um einen Prozentpunkt.
Sechstens: Unternehmensbilanzen. Aktiva sind nicht das Sparkonto des Chefs, Passiva nicht das Böse an sich. Cashflow ist kein Lebensgefühl. EBIT ist kein Schimpfwort. Wer eine Bilanz nicht lesen kann, sollte keine Vermögenssteuern entwerfen und keine Subventionen verteilen.
Siebtens: Steuern. Wir führen Glaubenskriege über Prozentsätze, ohne die Bemessungsgrundlage zu kennen. Brutto ist der Traum, Netto die Realität, und die Lücke dazwischen heißt Politik. Die kalte Progression war ein höflicher Taschendiebstahl.
Achtens: Unser absurd liebgewonnenes Folklorestück, die 14 Monatsgehälter. Wir nennen es Urlaubs- und Weihnachtsgeld, als würde der Weihnachtsmann zahlen. Als ob Menschen nicht selbst entscheiden könnten, wann sie welchen Lohnteil beziehen. Zwei Mal im Jahr das große Rascheln (mit Begünstigung!), damit niemand durchschaut, wie wenig am Ende bleibt. Vierzehn in zwölf gestopft, das wäre kein Diebstahl.
Neuntens: Politikperformances. In Talkshows mit oder ohne Politikbeteiligung wird Empörung auf 180 gedreht, dann wieder abgekühlt, wie eine schlecht kalibrierte Wärmepumpe. Danach meldet sich die Statistik mit Tabellen – und wird ignoriert, weil Tabellen keine Herzchen kriegen. So macht man Stimmung, aber keine Politik.
Zehntens: Bildung. Ökonomische Grundbildung ab der Volksschule, verpflichtendes Prozentrechnen für Mandatare, Bilanzkunde für Ressortleiter. Wer Gesetze schreibt, soll zuerst eine GuV lesen, wer moderiert, einen Zinseszins rechnen. Keine Ideologie, nur Hygiene.
Fazit, langsam buchstabiert: Ohne Basiswissen bleibt jede Debatte über Inflation, Lebensmittelpreise, Mieten und Pensionen eine Kulisse. Wir verwechseln Vokabeln, verwechseln Größenordnungen, verwechseln Relationen. Und während wir noch die Worte sortieren, sortiert die Realität unsere Kontostände. Wer Ökonomie für zynisch hält, wird die Wirklichkeit lieben: Sie korrigiert unerbittlicher als jeder Leitartikel – und ganz ohne Prozentpunkte zu erklären.