“Wir sind kein Pfadfinderlager”

Politik / 13.12.2024 • 12:10 Uhr
Militärkommandant Gunther Hessel, Interview
Militärkommandant Gunther Hessel, Interview

Militärkommandant Gunther Hessel fordert eine Westzulage für Soldaten und wirbt für das Bundesheer als Arbeitgeber.

Schwarzach Das Bundesheer muss Österreich längst nicht nur an der Grenze verteidigen. Die Gefahren sind vielfältig, Experten sprechen von “hybriden Gegnern”. Auch Gunther Hessel tut das. Der Vorarlberger Militärkommandant spricht im VN-Interview über die aktuelle Bedrohungslage in Österreich. Er erklärt, wie es dem Bundesheer materiell geht und spricht sich erneut für eine Verlängerung der Wehrpflicht aus. Das Bundesheer sei ein attraktiver Arbeitgeber, betont Hessel. Allerdings habe Attraktivität ihre Grenzen – schließlich müssen die Soldaten für den Einsatz trainiert werden.

Der stellvertretende Generalstabschef Bruno Günter Hofbauer erklärte im Februar, dass das Bundesheer kriegsfähig werden müsse. Für einen Krieg gegen wen?

Gunther Hessel Wir sind längst weg von der Verteidigung unserer Staatsgrenzen, sondern richten uns nach einem hybriden Gegner aus, der uns in verschiedenen Domänen angreift: Cyberraum, Informationsraum, Land, Luft. Das Staatsgebiet nicht mit offiziellen Landstreitkräften, sondern über staatlich eingeschleuste Kräfte, die aus dem Untergrund agieren, oder Terrorzellen, die Österreich destabilisieren möchten.

Gibt es diese Kräfte im Untergrund bereits in Österreich?

Hessel Derzeit haben wir noch keine konkreten Hinweise. Wir müssen uns bewusst machen, dass es nie soweit kommen sollte, denn das österreichische Bundesheer dient in erster Linie der Abschreckung.

Wie gut ist das Bundesheer für den Ernstfall gerüstet?

Hessel Wir stehen am Beginn des Aufbauplans 2032+. Damit erreichen wir, dass wir ein hundertprozentig verlässlicher Sicherheitsgarant zur Landesverteidigung in allen Domänen werden. Bis es soweit ist, wird es fast ein Jahrzehnt dauern. Das heißt nicht, dass wir jetzt nicht reaktionsfähig sind.

Die Regierungsverhandlungen laufen: Befürchten Sie, dass das Budget sinken könnte?

Hessel Diese Befürchtungen gibt es tatsächlich. Derzeit stimmen mich die Signale aus dem Verhandlungsteam und aus den Parteien aber sehr positiv, dass das Budget hält.

Was fehlt bei den Geräten, um verteidigungsfähig zu sein?

Hessel Das betrifft alle Bereiche: zum Beispiel das gesamte Spektrum der Luftabwehr, bis zur modernen Mannes- und Schutzausrüstung für alle inklusive Grundwehrdiener, dazu moderne Bewaffnung und geschützte Fahrzeuge

Gibt es genügend gepanzerte Fahrzeuge in Vorarlberg?

Hessel Nein, wir haben mit acht Fahrzeugen den ersten Schub erhalten. Über die kommenden Jahre hinweg soll es 30 weitere für das Jägerbataillon 23 und 30 für das Milizjägerbataillon Vorarlberg geben. Hinzu ist die Beschaffung von geländegängigen Kleinfahrzeuge vorgesehen.

Bekommen Sie auch Drohnen?

Hessel 2025 sollen die ersten zulaufen. Das Jägerbataillon 23 soll verschiedene gefechtstechnische und taktische Drohnen bekommen und gleichzeitig auch befähigt werden, Drohnen abzuwehren.

Hat das Bundesheer ausreichend Personal?

Hessel Derzeit ist die Zahl an professionellen Offizieren und Unteroffizieren abnehmend. Wichtig ist auch, dass wir mehr Zeitsoldaten haben – also Grundwehrdiener, die sich in Folge für ein paar Jahre verpflichten. Ein Zeitsoldat, der über mehrere Jahre bei uns ist und zum Beispiel ein Waffensystem beherrscht, sorgt für eine hohe Professionalisierung und eine perfekte Ausnutzung des modernen Geräts.

Braucht es eine längere Wehrpflicht?

Hessel Heeresintern sind wir uns einig, dass das ein sehr notwendiger Schritt wäre, weil wir uns im Aufbauplan 2032+ sehr stark auf eine funktionierende Miliz abstützen. Eine Miliz kann nur funktionieren, wenn die Milizverbände regelmäßig gemeinsam üben. Nur so ist auch ein Aufbau des Kaders, nämlich der Offiziere und Unteroffiziere, wieder möglich.

Welches Modell wäre optimal?

Hessel Entscheidend für die nächste Regierung ist es, die Voraussetzungen für die personelle Einsatzbereitschaft im Rahmen des Aufbauplans zu schaffen. Eine Möglichkeit wäre 7 plus 1. Das heißt, der Grundwehrdiener hängt einen siebten Monat dran, in dem wir in ausgeprägte Übungsphasen eintreten können. Die Soldaten wären besser ausgebildet und auch die Berufssoldaten würden profitieren, weil sie viel mehr als Kommandanten trainieren und mehr Führungssicherheit bekommen. Dann bleibt noch ein Monat für die verpflichtenden Milizübungen. Diese könnten zum Beispiel über fünf, sechs oder sieben Jahre erfolgen. Das Modell würde vermutlich auch die Wirtschaft mehr begrüßen.

Gibt es genügend Ausrüstung für die Miliz?

Hessel Es ist fix eingeplant, dass das Jägerbataillon Vorarlberg dieselbe Ausstattung bekommt, wie unser Hochgebirgsjägerbataillon 23 und auch die gleichen Aufgaben bewältigen kann. Damit sieht man aber auch, wie wichtig eine Übungspflicht wäre.

Braucht es eine Wehrpflicht für Frauen?

Hessel Diese Entscheidung überlasse ich komplett der Politik.

Gibt es bei den Berufssoldaten ausreichend Nachwuchs?

Hessel Nein. Unsere Personaltangente im Offiziers- und Unteroffiziersbereich ist fallend und da brauchen wir dringend mehr Nachwuchs. Mehr Nachwuchs heißt auch, dass wir aus einem größeren Pool schöpfen müssen, sprich, dass mehr Grundwehrdiener wieder einrücken. Die geburtenschwachen Jahrgänge, die starken Pensionsabgänge und die zunehmende Untauglichkeit machen uns massiv zu schaffen. Auch die Konkurrenz zum Zivildienst, der vermeintlich angenehmer ist.

Ist das Bundesheer attraktiv genug?

Hessel Es ist sehr attraktiv. Wo man die Attraktivität steigern kann, wäre nach wie vor im finanziellen Bereich.

Was fordern Sie?

Hessel Es braucht eine höhere finanzielle Wertschätzung für die verantwortungsvolle und zum Teil gefährliche Aufgabe in der Ausbildung und im Einsatz. Vor allem hier in Vorarlberg: Gemeinsam mit der Polizei haben wir immer wieder eine Westzulage gefordert. Was man hier im Jägerbataillon 23 verdient, verdient man auch im Mittelburgenland, wo das Preisniveau ganz anders ist.

Ist der Arbeitsplatz attraktiv?

Hessel Grundsätzlich ja, der Sicherheit und der Bevölkerung zu dienen ist sehr befriedigend, Attraktivität hat aber Grenzen. Damit wir die Herausforderungen eines Einsatzes im scharfen Schuss bewältigen können, müssen wir gewisse Herausforderungen und Härten in der Ausbildung trainieren. Das ist nicht immer angenehm. Das ist aber unsere Verpflichtung. Wir sind kein Pfadfinderlager. Wir müssen die Soldaten in der Ausbildung an die Grenzen führen, weil im Einsatz werden sie auch an die Grenzen geführt werden.

Militärkommandant Gunther Hessel, Interview
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"Wir sind kein Pfadfinderlager"