Reinhold Bilgeri

Kommentar

Reinhold Bilgeri

Fake News und böse Worte

Politik / 18.12.2024 • 14:55 Uhr

Frau Ammann, nach wie vor Kämpferin für einen demokratischen Konsens in unserer Gesellschaft, hat mich auf einen Film aufmerksam gemacht, der den Finger in diese offene Wunde hält, den Umgang mit der Wahrheit nämlich.

„Wenn wir den Zugriff auf die Wahrheit verlieren, verlieren wir auch den Zugriff auf unsere Zivilisation“ – dieser Satz ist die brisante Schlussfolgerung aus der aktuellen Doku des österreichischen Regisseurs Friedrich Moser: „How to built a Truth Engine“. Superstar George Clooney hat den Film mitproduziert, natürlich nicht von ungefähr. Aufgeweckte Amerikaner sind mit diesem Thema schon länger konfrontiert, spätestens seit sich russische Hacker in US-Wahlkämpfe einzumischen begannen. Was die von Algorithmen befeuerten Fake News, Lügen und Verschwörungstheorien in Politik, Wirtschaft und Social-Media-Kanälen schon angerichtet haben, kann ganze Gesellschaften destabilisieren – eine unbestrittene Tatsache, die uns sehr zu denken geben sollte. Nicht nur Institutionen unserer Demokratie sind gefährdet, auch wir selbst sind verletzlich geworden, nachdem die Ahnung aufkam, dass auch unser Verstand gehackt werden könnte, wenn wir uns nicht zu schützen beginnen.

Qualitätsjournalismus im Print und auch digital war noch nie so kostbar wie heute, ein Journalismus nämlich, der in aller Transparenz und laufend kundtut, WIE er arbeitet, WO seine Quellen sind, WOHER er seine Analysen ableitet.

Fake News sind ja bekanntlich nichts Neues. Schon seit Jahrhunderten spielten sie, nicht zuletzt in der langen Geschichte des Antisemitismus, eine traurige Rolle. Neu an diesem Phänomen ist, dass die Radikalität proportional zur Verbreitungsgeschwindigkeit zugenommen hat und die Gatekeeper-Funktion des professionellen Journalismus sowie öffentlich-rechtlicher Anbieter immer weniger auszurichten vermag. Deshalb haben sich vorrangig die „sozialen“ Medien wie Facebook, X, Telegramm usw. zu gefährlichen Brandbeschleunigern von Diffamierung und Kränkung entwickelt.

Das Ergebnis sehen wir auch bei Wahlen der jüngsten Vergangenheit. Etliche Politiker bedienen sich der Keule der bösen Worte als strategisches Mittel, sie verwenden absichtlich herabwürdigendes Vokabular, um zu hetzen, ja Hass und Angst-Instinkte zu befeuern und damit bewusst das Korrektiv der Vernunft auszuschalten.

Wir alle wissen, dass die Syrer gerade den blutrünstigsten Mörder ihrer Geschichte aus dem Land gejagt haben und wir wissen, dass der Massenmörder Putin seinem vasallischen „Bruder“ gerne Asyl gewährt hat. Wie war es möglich, dass in Österreich inzwischen jene Partei den größten Zuspruch erfährt, die dem Europafeind Putin die Stange hält und gleichzeitig die zu uns geflohenen Syrer am liebsten mit Fußtritt zurück in die Wüste schicken würde?

Wie gesagt: „Wenn wir den Zugriff auf die Wahrheit verlieren, verlieren wir auch den Zugriff auf unsere Zivilisation“. Ich bin ganz bei Frau Ammann. Wir wünschen Allen friedliche Weihnachten.

Reinhold Bilgeri ist Musiker, Schriftsteller und Filmemacher, er lebt als freischaffender Künstler in Lochau.