Blau-Türkis
Das Unverständnis darüber, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Regierungsbildungsauftrag nicht Herbert Kickl als dem Obmann der stimmenstärksten Partei gegeben hat, ist eher größer geworden. Zu sehr schleppen sich ÖVP, SPÖ und Neos bei ihren Verhandlungen dahin.
Zunächst war das Unverständnis ausschließlich auf andere Dinge zurückzuführen. Zum Beispiel darauf, dass die niederösterreichische Volkspartei die Nationalratswahl im Sommer als „Kanzlerwahl“ bezeichnet hat: Es hat den Eindruck erweckt, dass „der Erste“ automatisch Regierungschef wird. Und es hat daher nur noch mehr Menschen empört, dass man sich in der ÖVP hinterher nicht daran gebunden fühlte.
Insofern sollte man sich gerade in ihren Reihen hüten, den Bundespräsidenten allein dafür verantwortlich zu machen, wie sich die Dinge entwickeln. Der größte Vorwurf, den man Van der Bellen machen kann, ist, dass er für viele Österreicher nicht überzeugend darlegen konnte, welchen Spielraum er bei Regierungsbildungen hat.
Es gibt Leute, die finden, dass er Kickl trotzdem hätte beauftragen sollen. Und zwar mit dem Kalkül, dass dieser dann groß gescheitert und zu keiner „Märtyrer-Rolle“ gekommen wäre.
Über diese Vorstellung kann man sich nur wundern: Kickl hätte es durchschaut, er ist nicht dumm. Er hätte es der ÖVP daher eher unmöglich gemacht, ihn scheitern zu lassen. Natürlich: Sie hätte sich einen neuen Obmann suchen müssen. Karl Nehammer, der eine Zusammenarbeit mit dem FPÖ-Chef kategorisch ausschließt, hätte sich wohl oder übel verabschieden müssen.
Der Punkt ist, dass Kickl der ÖVP ein Angebot gemacht hätte, zu dem sie nicht „nein“ sagen kann. Kunst ist das keine: Auch er will keine neuen Steuern und die Wirtschaft entlasten. Dass seine Haltung zu Russland und dem Ukraine-Krieg eine unüberwindbare Hürde sein soll, kann die Volkspartei schwer vermitteln. Das ist ihr schon im Wahlkampf nicht gelungen, zumal sie zu keiner offenen Auseinandersetzung mit Fragen von Sicherheit und Verteidigung bereit ist, sondern sich letzten Endes immer lieber auf ein Neutralitätsbekenntnis beschränkt.
Das Budget müsste auch von einer blau-türkisen Koalition saniert werden. Allein durch die Abschaffung von Leistungen wie dem Klimabonus, die für FPÖ und ÖVP verzichtbar sind, würde jedoch viel zusammenkommen. Große Reformen wollen abgesehen davon beide nicht. Insbesondere bei den Pensionen wären ebensolche zwar notwendig, aber nur begrenzt populär – und daher tabu für Parteien, für die Populismus so sehr zum Programm geworden ist.
Arbeitsübereinkommen, die sie in den Ländern bereits fixiert haben, unterstreichen, dass Stil- und Symbolfragen mit zum Teil weitreichenden Konsequenzen im Zentrum ihres Tuns stehen würden: Ein Kopftuchverbot für den öffentlichen Dienst oder ein Genderverbot etwa. Angesagt wäre darüber hinaus vor allem Härte gegenüber Asylwerbern und ein Bemühen von Kickl, als „Volkskanzler“ zu wirken.
Allein das würde der ÖVP wirklich wehtun. Sie müsste sich mit dem Vizekanzleramt begnügen.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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