Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Tief in der Tinte

Politik / 14.01.2025 • 07:05 Uhr

Nach dem Rückwärtssalto der ÖVP in Richtung Herbert Kickl versuchte der Salzburger Landeshauptmann Haslauer in einem ORF-Interview zu beruhigen. Man werde in den Verhandlungen schon kein Seelenverkäufer sein. Da ist ein sehr zweideutiger Begriff. Er will einerseits einen Rest an Grundsatzfestigkeit signalisieren, hat aber in der Seemannssprache keinen guten Klang. Es handelt sich laut Duden um ein zum Abwracken reifes Schiff, das eigentlich nicht mehr seetüchtig ist. Für viele Menschen sind Regierungsverhandlungen, die zum einem Bundeskanzler Kickl führen, schon schlimm genug. Noch mehr ins Gewicht fällt aber meistens der Ärger darüber, dass die ÖVP und namentlich der neue Parteiobmann Stocker gerade erst noch solche Verhandlungen wortreich und sehr dezidiert ausgeschlossen hatten.

Sie sitzen jetzt tief in der blauen Tinte. Die einzige Alternative wären Neuwahlen, und die muss die ÖVP nicht nur wegen der immer schlechter werdenden Umfragewerte fürchten. Nach den kürzlich auf Grund verschärfter Gesetze von den Parteien erstmals veröffentlichten Bilanzen hatte die FPÖ Ende 2023 8 Millionen Euro in der Kasse, Grüne und Neos immerhin je 3 Millionen. Die SPÖ hatte ein Minus von 3 Millionen, jenes der ÖVP war hingegen fast doppelt so hoch. Das ist eine der zahlreichen Altlasten ihres früheren Bundeskanzlers Sebastian Kurz, der 2017 für den Wahlkampf das doppelte der damals eigentlich erlaubten Ausgaben für Wahlwerbung ausgegeben hatte. Mit einem solchen Rucksack kann man natürlich keine großen Sprünge machen. Der Wiener SPÖ-Bürgermeister hat zu den zwei Alternativen „Bundeskanzler Kickl oder Neuwahlen“ in den letzten Tagen noch eine dritte ins Spiel gebracht: Eine Wiederholung der Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos. Da fragt man sich schon, warum er die ganzen langen Verhandlungswochen hindurch auf seinen Bundesparteiobmann Babler offenkundig keinen Einfluss genommen hatte.

Neuwahlen wurden nicht zuletzt deshalb ausgeschlossen, weil sie erst im Mai möglich gewesen wären und eine so lange Zeit für eine Experten-Übergangsregierung als Stillstand angesehen wurde. Bei einem Blick nach Deutschland fällt aber folgendes auf: Nach der Auflösung des Bundestags am 27. Dezember findet die Neuwahl bereits am 23. Februar statt. Das hat seinen Grund in unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen, aber es wäre schon überlegenswert, ob das auch künftig so sein muss. Bei einer notwendigen Stichwahl (wie zuletzt 2016) liegen vier Wochen zwischen den beiden Wahlterminen, in Frankreich ist es eine Woche. Wie schaffen das eigentlich die Franzosen, Wahlen so zügig und doch unfallfrei abzuwickeln? Aber wenn wir schon bei internationalen Vergleichen sind: In Belgien hat die letzte Regierungsbildung 494 Tage gedauert.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.