Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Volkspartei, willst du das wirklich?

Politik / 07.02.2025 • 16:38 Uhr

„Man muss die Tatsachen kennen, bevor man sie verdrehen kann.“ Mark Twain, dem dieser Satz ohne jeden Beleg zugeschrieben wird, hätte seine Freude an der politischen Groteske, die sich in Österreich abspielt. Die ÖVP verhandelt wie in einem Fiebertraum mit der FPÖ unter Herbert Kickl – und tut damit das, was sie seit ihrer Greisenwerdung am besten kann: sich selbst zerlegen. Denn während Christian Stocker und die Seinen hoffen, den blauen Rädelsführer in eine staatstragende Rolle zu zwingen, beweist dieser mit jeder Verhandlungsrunde aufs Neue, dass er genau das nicht kann. Oder nicht will: Schließlich könnte er im Gegensatz zu seinem hilflosen Gegenüber jederzeit in Neuwahlen gehen und dabei nur gewinnen. Kickl provoziert, schürt Ressentiments und legt Bedingungen auf den Tisch, die selbst für abgehärtete Koalitionsarchitekten in kein stabiles Gebilde einzufügen sind. Wer gedacht hatte, der FPÖ-Chef würde via Metamorphose zum pragmatischen Macher mutieren, wurde eines Besseren belehrt. Die Situation hat sich also nach dem Auslutschen der Zuckerlkoalition ein weiteres Mal geändert – andere Tatsachen, andere Verhältnisse.

Aber wer konnte Kickls Pauluswerdung ernsthaft erwarten? Ein Mann, der als Innenminister einen Nachrichtendienst beinahe zerstört und die politischen Mitstreiter gleich wie die Gegner auf schwarze Listen gesetzt hatte, der die Polizei mit einer Reiterstaffel aufrüsten wollte, der sich zeit seines Lebens einer menschenverachtenden Rhetorik bedient hatte – der ist nicht plötzlich ein liebevoller Regierungspartner. Wer geglaubt hatte, Kickl hätte sich gewandelt, kennt den braunen Stadl nicht, in dem er aufgewachsen ist. Zur Verteidigung seines Charakters: Der FPÖ-Obmann ist sich selbst treu geblieben, und das bedeutet: Konfrontation statt Konsens.

“Wer geglaubt hatte, Kickl hätte sich gewandelt, kennt den braunen Stadl nicht, in dem er aufgewachsen ist.”

Und die Volkspartei? Sie taumelt. Eine Partei, die einst die Republik geprägt hatte, ist drauf und dran, sich aufzugeben. Es gibt viele Möglichkeiten, politisch zu sterben. Die CDU in Deutschland hat es mit Merkel langsam und würdevoll versucht, die Christdemokraten in Italien mit Korruption und mit Berlusconi als Nachlassverwalter zynisch und laut. Aber die ÖVP scheint einen neuen Weg gefunden zu haben: Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

Alternativlos? Von wegen! SPÖ, die Neos und sogar die Grünen stünden für eine Regierung zur Verfügung. Klar, eine Dreierkoalition unter Einbindung der SPÖ ist kompliziert. Aber verglichen mit der toxischen Verbindung zu Kickl wäre es eine Rettungsaktion für die Volkspartei mit dem Bonus des Kanzleramtes und vor allem auch gegen die Selbstaufgabe des Landes.

Bleibt die SPÖ. Sie könnte es sich ebenfalls anders überlegen. Dass Andreas Babler unangefochten bleibt, ist alles andere als ausgemacht. Michael Ludwig, der mächtige Wiener Bürgermeister, hat in seiner Karriere bewiesen, dass er nicht nur hinter den Kulissen operiert, sondern auch aktiv ins Geschehen eingreift, wenn es sein muss. Warum sollte er also weiter tatenlos zusehen, wie sich seine Partei kurz-, mittel- und langfristig auf marxistischem Pfad in eine Sackgasse manövriert? Vielleicht ist es an der Zeit, dass Ludwig seinen – ohnehin nur pro forma – Parteichef beiseitenimmt und ihn daran erinnert, dass Politik immer auch die Kunst des Machbaren ist. Und das wäre eine Regierung ohne Kickl.

Ob Stocker und seine Landesfürstchen noch den Mut finden, aus der Höllenfahrt auszusteigen? „Der schlimmste aller Fehler ist, sich keines solchen bewusst zu sein.“ Ein Zitat von Thomas Carlyle, der zumindest in seinem Christentum der Volkspartei nahestand.

Christian Rainer ist Journalist und Medienmanager. Er war 25 Jahre lang Chefredakteur und Herausgeber des Nachrichtenmagazins profil.