Demokratiekrise
Man könnte glauben, Österreich habe ein Mehrheitswahlrecht: Wer die meisten Stimmen hat, darf demnach allein bestimmen. Herbert Kickl (FPÖ) vermittelt den Eindruck, dieser Überzeugung zu sein. Ja, er geht sogar noch weiter: Er tut so, als agiere er im Sinne der gesamten Bevölkerung und bezeichnet sich daher auch schon als „Volkskanzler“.
So sind die blau-türkisen Regierungsverhandlungen denn auch verlaufen bisher. Kickls Botschaft an die ÖVP: Friss und stirb. Er und seine Leute seien die Wahlsieger, sie müsse das akzeptieren. Ausdrücklich beansprucht er wesentliche Ressorts, vor allem aber das Finanz- und das Innenministerium. Wenn sich die Volkspartei darauf einlassen würde, würde sie riskieren, unterzugehen.
Eine gefährliche Entwicklung erreicht einen vorläufigen Höhepunkt: Österreich hat ein Verhältniswahlrecht. Und weil keine Partei über eine absolute Mehrheit verfügt, ist es notwendig, dass bei allen eine grundsätzliche Bereitschaft vorhanden ist, mit ein, zwei anderen auf Augenhöhe zusammenzukommen, mit denen sie mehr als 50 Prozent der Nationalratsmandate erreichen. An dieser Bereitschaft hapert es jedoch mehr denn je.
ÖVP und SPÖ haben dem Prinzip lange entsprochen. Schluss war damit jedoch, als sie auf dem Weg zu Mittelparteien waren. Da wurden sie nervös, glaubten, dass ihnen Kompromisse schaden und sie daher wieder ihr eigenes Profil schärfen müssen.
Unter Sebastian Kurz ließ sich die ÖVP zwar auf ein Bündnis mit den Grünen ein (Motto: „Das Beste aus beiden Welten“), nach ihm meinte sie jedoch, dass ihr dieses eher Stimmen koste. Eine Fortsetzung schloss sie daher aus. Gleichzeitig blieb ihre Distanz zur SPÖ bestehen, die sich ihrerseits mit Andreas Babler an der Spitze bemühte, links der Mitte aufzuzeigen und deutlich zu machen, wie sehr sie sich von der Volkspartei unterscheide. Nicht wenige Genossen freuten sich darüber, es zeuge von neuem Selbstbewusstsein, meinten sie. Sozialpartnerschaftlich-großkoalitionär tickenden Sozialdemokraten missfiel es jedoch: Sie ahnten nicht nur, dass Türkis-Rot-Pink so schwer möglich werden könnte, sie behielten damit auch recht. Anfang Jänner sind diese Verhandlungen gescheitert.
Auf Länderebene ist es noch nicht zu solchen Entwicklungen gekommen. Das muss hier eingeschoben werden: Es hat damit zu tun, dass es dort, wie in Vorarlberg, meist noch eine klar größte Partei gibt, bei der sich nach Wahlen alle anderen um eine Zusammenarbeit anstellen und daher von vornherein entsprechend kompromissbereit verhalten.
Auf Bundesebene ist das ganz anders: Hier existieren mittlerweile drei Mittelparteien. Wobei ÖVP und SPÖ nicht miteinander können und die FPÖ so tut, als könne sie allein bestimmen. Kickl versucht damit einer Sehnsucht in Teilen der Bevölkerung zu entsprechen, die sich gerade in Krisenzeiten nach einer Autorität sehnen. Das Problem ist jedoch, dass sich das mit einer repräsentativen Demokratie mit Verhältniswahlrecht nicht ausgeht. Es ist vielmehr ein glatter Widerspruch dazu.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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