Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Die empathielose Gesellschaft

Politik / 13.02.2025 • 07:05 Uhr

Der große britische Astrophysiker und Kosmologe Stephen Hawking hat vor seinem Tod bilanzierend festgestellt, die Zukunft der Menschheit lasse sich nur durch Empathie – das Hineinfühlen in andere – sichern. Sie allein sei imstande, die den Menschen innewohnende Aggressivität zu überwinden und sie in einen gemeinschaftlichen, friedlichen Zustand zu bringen. Nachdem diese Aussage von einem der intelligentesten Menschen unserer Zeit, dazu noch von einem kühl denkenden Naturwissenschaftler kommt, muss man sie wohl ernst nehmen.

Blickt man jedoch auf die heutige gesellschaftliche Entwicklung, ist ein Niedergang der Empathie unverkennbar. Dies zeigt sich im Kleinen und im Großen, im modernen Kontaktverhalten, in der Idealisierung der Abgebrühtheit und der so beliebten zynischen Sprache. Ebenso sind die Unkultur der Beschämung, die suchtartige Entwertung der Mitmenschen und die unaufhörliche Schuldzuweisung gefährliche Gegenspieler des Mitfühlens. Immer empathieloser wird der gesellschaftliche Umgang mit Menschen in Not, mit sozialen Außenseitern und Andersdenkenden. Ohne Blockade der Empathie könnte es keine Kürzung der Hilfsgelder für wirklich Notleidende und keine Besteuerung von Wohltätigkeitsspenden geben, wie dies in Österreich jetzt angeblich geplant ist. Schließlich wären Terror und Krieg, die so unendliches Leid über Unschuldige bringen, ohne Ausschaltung selbst minimalen Mitgefühls nicht möglich.

Die Ursachen für die primitive Unterdrückung der Empathie sind vielfältig. Ein Hauptgrund liegt im zunehmenden gesellschaftlichen Narzissmus, ein anderer im Ersatz direkter zwischenmenschlicher Begegnungen durch digitale Kommunikation. Werden Nachrichten schnell konsumiert, fehlt zwangsläufig die emotionale Auseinandersetzung mit dem Schicksal anderer. Mehrere Wissenschaftler sehen einen weiteren Grund im überspannten Leistungsdruck, welcher dazu führt, dass viele Menschen sich nur noch auf sich selbst konzentrieren und das Leid anderer ausblenden.

Will man die verheerenden Konsequenzen der Empathielosigkeit, vor allem Vereinsamung und Spaltung der Gesellschaft verhindern, ist die Verherrlichung von Coolness und Selbstoptimierung infrage zu stellen und von tonangebenden Persönlichkeiten emotionale Kompetenz einzufordern. Letztlich liegt es aber an jedem Einzelnen, Empathie zu entwickeln, sie aktiv zu leben und weiterzugeben. Nehmen wir die Warnung des Jahrhundertgenies doch ernst: Empathielosigkeit darf nicht zur gesellschaftlichen Norm werden!

Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.