Bundesregierung hemmt Familiennachzug, stoppt ihn aber nicht zur Gänze

ÖVP-Ministerin Plakolm spricht von einer notwendigen “Stopptaste”. Die Neuregelung könnte schon Mitte Mai in Kraft treten.
Wien Das Thema bewegt. Auf der einen Seite steht die Kritik an Überlastungen im Bildungs- und Sozialsystem, auf der anderen Seite die Frage, ob man Geflüchteten ihre engen Angehörigen vorenthalten darf. Bis Dienstagabend sollen ÖVP, SPÖ und Neos über die letzten Details der Neuregelung des Familiennachzugs verhandelt haben. Am Mittwoch wurde im Ministerrat dann die Pause beschlossen. Der Initiativantrag wird heute im Nationalrat eingebracht, die Neuerung könnte bereits im April vom Parlament verabschiedet werden und Mitte Mai in Kraft treten.
Allerdings gab es eine Änderung zu den Plänen, die in den vergangenen Wochen zirkulierten. Demnach können anerkannte Flüchtlinge und subsidiär schutzberechtigt Personen weiterhin Anträge auf Familiennachzug an den jeweiligen Botschaften in Österreich stellen, dort können auch Prognoseentscheidungen getroffen werden. Allerdings werden die letztgültigen Entscheidungen, die eigentlich innerhalb einer sechsmonatigen Frist fallen müssen, pausiert.

Überlastung als Begründung
Die schwarz-rot-pinke Regierung beruft sich im Gesetzesantrag auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Damit sollen die EU-Mitgliedsländer ihre öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit aufrecht erhalten können. Genau damit wird die Änderung im Bereich Asyl nun argumentiert. Staatliche Systeme hätten ihre Kapazitätsgrenzen überschritten, steht etwa im Gesetzesentwurf. Das betreffe insbesondere das Bildungssystem. Zudem ist von “vermehrten Spannungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen an Schulen” die Rede. “Wir sind hier am Ende der Belastbarkeit und deshalb drücken wir die Stopptaste”, begründete Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) nach der Regierungssitzung.
Ausnahmen vorgesehen
Von der Verordnung ausgenommen sind zum Beispiel Fälle minderjähriger Antragstellerinnen und Antragsteller, die keine ausreichenden Begleitpersonen in Österreich haben. Solche Ausnahmen sind europarechtlich geboten und könnten weiters Personen betreffen, deren Deutschkenntnisse so gut sind, dass durch sie keine zusätzliche Belastung der Systeme zu erwarten wäre.
Zuletzt äußerten Experten Zweifel, ob die Hemmung des Familiennachzugs europarechtskonform ist. Laut Plakolm darf Österreich mit dem Antrag und einer entsprechenden Verordnung vom EU-Asylrecht abweichen. Die neue Sonderregelung kann durch Verordnung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats bei entsprechender Überlastung der Systeme anwendbar gemacht werden und wird befristet bis Ende September 2026 eingeführt. Begleitend soll ein Kontingente-System erarbeitet werden, mit dem künftig das Ausmaß des Familiennachzugs begrenzt werden soll.
Menschlichkeit eingemahnt
Das Rote Kreuz mahnte die Regierung, die Menschlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Die Familienzusammenführung sei ein Menschenrecht und hinter den diskutierten Zahlen und Statistiken würden sich Schicksale von Menschen verbergen, die wegen Krieg, Leid und Zerstörung ihre Heimat verlassen müssten, erinnerte Präsident Gerald Schöpfer. Erfolgreiche Integration sei nur möglich, wenn die betroffenen Familien in einem sicheren Umfeld leben. Auch ein Bündnis aus Organisationen von Caritas und Volkshilfe bis zur Asylkoordination und den Pfadfindern forderte von der Regierung eine “menschenrechtskonforme und konstruktive Politik”. Familien die Aussicht auf Wiedervereinigung zu nehmen, löse keine Probleme, sondern schaffe nur weitere.