Kommentar: Willkommenskultur
Zehn Jahre nach dem Beginn der Flüchtlingskrise wird der deutschen Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bzw. ihrer damaligen Aussage „Wir schaffen das“ mehr Verachtung zuteil denn je. Sebastian Kurz (ÖVP) hat jüngst in einem „Presse“-Interview behauptet, er und seine Leute hätten schon damals festgestellt, dass das nicht funktionieren könne. Heute würde er so weit gehen, zu behaupten: „Wir hatten recht.“
Kurz ist damit nicht allein: Freiheitliche haben schon lange vor der Flüchtlingskrise gemeint, dass das Boot voll sei. Ja, heute wird das auch von Sozialdemokraten so gesehen. Daniel Fellner, der in Kärnten demnächst Peter Kaiser als SPÖ-Vorsitzender und dann wohl auch als Landeshauptmann nachfolgen dürfte, meint sinngemäß, 200 Personen bringe man nicht unter auf einem Rettungsboot mit 100 Plätzen. Es brauche daher dringend einen strengeren Kurs.
An die Bundesregierung kann diese Forderung nicht gerichtet sein. Sie liefert: ÖVP, SPÖ und Neos haben vor wenigen Wochen einen Notstand ausgerufen. Damit haben sie eine Rechtfertigung dafür konstruiert, den Familiennachzug für Asylberechtigte zu stoppen.
Es war entlarvend: In Wirklichkeit gibt es keinen Notstand. Und in Wirklichkeit hat es vor wenigen Jahren zwar extrem viel Familiennachzug gegeben, was insbesondere in Wien zu einer Überlastung des Schulsystems geführt hat, ist dieser Nachzug aber längst eingebrochen, sodass er bewältigbar wäre.
Wenn man wollte. Das ist der Punkt, um den es hier geht: Das Wollen. Die Aussage „Wir schaffen das“ von Angela Merkel könnte man auch positiv in dem Sinne sehen, dass sie dafür steht, eine Herausforderung anzunehmen. Was wäre die Alternative? Menschen an der Grenze ihrem Schicksal überlassen?
Der Geist von „Wir schaffen das“ wurde 2015 gerade auch in Vorarlberg gepflegt. Ganz besonders vom damaligen ÖVP-Landesrat Erich Schwärzler, der dafür gekämpft hat, dass in jeder Gemeinde Flüchtlinge unterkommen. Eine großartige Leistung, das Gegenteil von Verweigerung und schlichtem Populismus.
Es heißt nicht, dass man alle Menschen, die nach Österreich aufbrechen wollen, kommen lassen muss. Das ist eine bösartige Unterstellung. Es bedeutet, denen, die einmal hier sind, zu helfen.
Die Bilanz der Flüchtlingshilfe könnte sich sehen lassen: Zahlreche Befragungen zeigen, dass das Zusammenlegen aus Sicht einer Mehrheit gut funktioniert. Laut einer Studie des industrienahen Instituts „Eco Austria“ dürften all jene, die in den vergangenen Jahren gekommen sind, keine Nettoempfänger mehr sein, sondern selbst auch ordentlich einzahlen ins System, wie man so sagt.
Umso tiefer lässt es blicken, dass Politik zunehmend nur noch ein nicht mehr bewältigbares Problem sieht und Grenzen für Flüchtlinge daher am liebsten dichtmachen würde. Man kann auch sagen, sie kapituliert gegenüber Stimmungen, die sie selbst befeuert. Ja, sie macht dadurch vieles nur noch schwieriger: Für gesellschaftlichen Frieden wäre eine Willkommenskultur mit klaren Prinzipien notwendig, ist die reine Ablehnung Gift.
Das ist der Punkt, um den es hier geht: Das Wollen.
Kommentar