Wirtschaft im freien Fall: Wifo und IHS fordern, Länder und Gemeindeverband sind bereit

Die längste Rezession der Zweiten Republik hält an. IHS-Chef Felbermayer mahnt zu “Rendezvous mit der Realität” und harten Reformen.
Text: Julia Schilly-Polozani & Michael Prock
Wien Nach der Präsentation der aktuellen Konjunkturprognose von Wifo und IHS muss man erst einmal schlucken. Die heimische Wirtschaft ist im EU- und OECD-Vergleich Schlusslicht. Im Jahr 2023 schrumpfte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Österreich um 1 Prozent und 2024 um 1,2 Prozent. An zweitletzter Stelle kommt Finnland mit 0,4 Prozent Rückgang der Wirtschaftsleistung. Österreichs Budgetloch weitet sich deshalb aus. Aus Wien werden nun die Rufe nach Reformen lauter. Macht man gerne, hallt es aus Vorarlberg zurück. Inklusive Vorschlägen.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von APA Livecenter angezeigt.
Lohnquote explodiert, Pensionssystem teuer
Die Wirtschaft schrumpft, weil die Industrie einen großen Anteil an Österreichs Wertschöpfung trägt. Die Industrie schwächelt. Hinzu kommen Konsumzurückhaltung, die Sparpläne der neuen Regierung sowie US-Zölle. Der industrielle Einbruch trifft Vorarlberg besonders. Oberösterreich und Vorarlberg sind die Industrie-Bundesländer in Österreich und besonders exportstark. Allerdings ist auch der Branchenmix ausschlaggebend, zudem ist der Tourismus in Vorarlberg wieder stärker geworden. Landeshauptmann Markus Wallner möchte im VN-Gespräch deswegen keine schlechte Stimmung verbreiten. “Wir sind zum dritten Mal in einer Rezession, das ist schon heftig. Wir müssen aus diesem Tal wieder rauskommen. Aber es deutet sich eine bessere Zeit schon in der zweiten Jahreshälfte an. Die Wirtschaft braucht diese Zuversicht und den Blick nach vorne.”
Auch die Arbeitnehmer spüren die Rezession, nicht nur bei der Jobsicherheit. Denn die sogenannte Benya-Formel greift nicht mehr. Sie besagt, dass sich die Lohnerhöhung aus der Abgeltung der Inflation plus dem Anteil am Produktivitätszuwachs ergibt. Bloß gibt es letzteren aktuell nicht mehr: Im Dezember ging man noch von einem Wirtschaftswachstum von 0,6 bzw. 0,7 Prozent für heuer aus, nun wird ein Rückgang um 0,3 bzw. 0,2 Prozent prognostiziert. Die Inflationsanpassungen habe die Lohnquote aber explodieren lassen, sagt Felbermayer. Und die Lohnstückkosten sind dadurch gestiegen. Für Vorarlberg relevant: Wesentlich stärker als in der Schweiz und ebenfalls stärker als in Deutschland. “Das bringt eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit”, warnt Wallner. Deshalb seien in Zukunft maßvolle Lohnabschlüsse nötig.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von APA Livecenter angezeigt.
“Es wird schmerzhaft”
Für Felbermayr ist die Krise hausgemacht, er fordert massive Reformen im ganzen Land. “Die Sparanstrengungen in den öffentlichen Budgets sind ein Teil, aber es braucht auch eine Anpassung der Pensionen, Sozialleistungen und Löhne – also ein Rendezvous mit der Realität.” Es sei klar, dass die Reformen in dieser kurzen Frist unschön werden. Aber wenn Wirtschaftsleistungen und Einkommen nicht in Einklang gebracht werden, werde die Rückkehr zum Wachstum noch schmerzhafter.

Zahlen der Länder am Montag
Das Budgetdefizit soll 2025 erneut die Maastricht-Grenze von 3 Prozent des BIP überschreiten und trotz Sparpaket bei 3,3 Prozent (Wifo) bzw. 3,2 Prozent (IHS) liegen. Die neuen Zahlen zu Ländern und Gemeinden werden am Montag von der Statistik Austria publiziert. Daher gibt es noch Unsicherheiten in den Prognosen, betonten Felbermayer und Bonin. Klar dürfte schon jetzt sein, dass auch die Länder die Grenze nicht einhalten werden können. Auch Vorarlberg nicht, sagt Landeshauptmann Wallner. “Aber es hat insofern keine Bedeutung, also dass die Berechnungen nicht stimmen, weil die Maastricht-Regeln de facto außer Kraft gesetzt wurden.” Zunächst haben die Ausgaben für die Flüchtlinge nicht gezählt, dann die Pandemiekosten, dann die Inflationsbekämpfung und jetzt wird über Kosten für die Verteidigung diskutiert. “Es gibt zwar Kriterien, die wurden aber immer wieder ausgehebelt”, argumentiert Wallner. “Die Maastricht-Berechnung hat in den letzten Jahren gar nicht mehr funktioniert.” Noch vor dem Sommer werde es Gespräche zwischen Bund-Ländern-Gemeinden und den Sozialversicherungen geben, um über den innerösterreichischen Stabilitätspakt zu diskutieren. Da wird darüber gesprochen, wer welchen Teil der Maastricht-Kriterien erreichen muss. “Das ist offen”, betont der Landeshauptmann.
Im Laufe der Woche veröffentlichte die Bundesregierung bereits neue Zahlen. Statt sechs Milliarden Euro könnte das Defizit zwölf Milliarden Euro betragen (die VN berichteten). Staatssekretär Josef Schellhorn forderte deshalb auch einen Beitrag von Ländern und Gemeinden, um das Budget zu sanieren. Auf VN-Anfrage bekräftigt eine Sprecherin, dass es Überlegungen gibt, wie der Beitrag aussehen könnte. “Fakt ist: ohne die Länder und Gemeinden wird es nicht gehen – schließlich sitzen wir alle im selben Boot. In welcher Form das vonstattengehen wird, wird sich zeigen, hier bitte ich um Verständnis, dass wir den Ergebnissen der Budgetberatungen nicht vorgreifen wollen.”
Wallner nimmt die Einladung zu Gesprächen gerne an: “Wir müssen uns alle an einen Tisch setzen und über Reformen sprechen, nicht nur über Geld.” Er sieht viele Möglichkeiten für Reformen; im Gesundheitsbereich, in der Pflege und der Bildung. “Da gehört längst eine Entflechtung her. Die Bildungsdirektion wird auch hinterfragt. Jetzt sind alle Wahlen durch, jetzt muss man eine Strategie entwickeln.” Ein Zeitfenster für große Reformen habe sich geöffnet.
Andrea Kaufmann, Präsidentin des Vorarlberger Gemeindeverbands, sieht es ähnlich. “Wenn die Bundesregierung endlich große Reformen angeht, sind wir die ersten, die sie dabei unterstützen.” Thematisch ist sie mit Wallner auf Schiene: Gesundheit, Schule, Soziales. “Wenn man diese Punkte anpackt, wäre finanziell etwas drin.” Außer Reformen sieht sie wenig Spielraum, wie Gemeinden helfen sollen, das Bundesbudget zu entlasten. “Die Gemeinden übernehmen mittlerweile viele Aufgaben, die sie nicht unmittelbar übernehmen müssten. Wir helfen Bund und Land also eh schon aus.” Deshalb sollte eher mehr Geld Richtung Gemeinden fließen, statt weniger, ist Kaufmann überzeugt.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von APA Livecenter angezeigt.
“Relativ robuster” Arbeitsmarkt und Aufschwung
Die gute Nachricht zum Schluss: Der Arbeitsmarkt erweist sich als relativ robust. Für heuer wird ein Anstieg der Arbeitslosenrate um 0,3 bzw. 0,5 Prozentpunkte auf 7,3 bzw. 7,5 Prozent erwartet. Zweitens könnte 2026 der Aufschwung kommen, wenn sich die österreichische und die globale Wirtschaft so wie derzeit prognostiziert entwickeln. Drittens könnte dann die Inflation 2026 deutlich auf 2,1 bzw. 2 Prozent zurückgehen. Viertens könnte die Arbeitslosenrate leicht auf 7,1 bzw. 7,3 sinken.