“Wir haben einen Investitionsbedarf von 1,4 Milliarden Euro”: Wie sich die Erneuerung des Stromnetzes auf den Preis auswirkt

Die Führungsriege der Illwerke/VKW erläutert auch, wie nah das europäische Stromnetz schon tatsächlich an einem Blackout stand.
Bregenz Die Energieversorgung befindet sich im Umbruch. Sonne und Wind statt Kohle, Gas und Atomkraft bringen zwar ein besseres Klima, für die Netze birgt der Umstieg aber große Herausforderungen. Die Illwerke/VKW-Vorstände Christof Germann und Gerd Wegeler sprechen im VN-Interview über den Investitionsbedarf in die Netze, die Zukunft des Gasnetzes und erklären, weshalb internationale Strompreisschwankungen nun schneller in Vorarlberg ankommen werden.
Können die Illwerke/VKW als Krisengewinner bezeichnet werden?
Christof Germann Nein. Wir haben in den letzten 15 Jahren viel in unsere Pumpspeicherkraftwerke investiert. Mit diesen Kraftwerken haben wirvor allem im Export gute Ergebnisse erzielt. Was das Geschäft in Vorarlberg betrifft, sind wir seit vielen Jahren deutlich negativ. Das ist auf die Preispolitik zurückzuführen. Wir wollen dauerhaft einer der günstigsten Landesenergieversorger sein.

Wie hoch müsste der Strompreis sein, damit Vorarlberg zumindest ein Nullsummenspiel ist?
Germann Früher haben wir Strom auf drei Jahre beschafft, damit wurde dann auch der Preis für das neue Jahr ermittelt. Jetzt beschaffen wir auf neun Monate. Wir versuchen damit, die Einkaufsvorteile möglichst rasch an den Kunden weitergeben zu können. Damit sind wir jetzt auch in etwa kostendeckend.
Vorarlberg verbraucht rund 2800 Gigawattstunden Strom pro Jahr. Wie hoch ist der Eigendeckungsgrad?
Germann Rein rechnerisch, inklusive Bezugsrechten, kommen wir auf eine Quote von 40 bis 50 Prozent. Das Problem ist, dass die Energie oft nicht zur Verfügung steht, wenn sie von Kunden nachgefragt wird. Das Kraftwerk Lochau würde uns ermöglichen, den Eigendeckungsgrad um 120 bis 125 Gigawattstunden zu erhöhen. In der Endkundenversorgung fehlt uns aber mit den eigenen Anlagen ein nicht unerheblicher Teil. Darum haben wir uns entschlossen, ein Wind- und PV-Portfolio aufzubauen, das machen wir primär in Deutschland. Dort ist der Windertrag wesentlich höher. Da sind 1000 Gigawattstunden das Ziel.
Was bedeutet das für die Netze?
Germann Wir haben einen sehr hohen Investitionsbedarf von 1,4 Milliarden Euro bis 2040. Wir investieren ins Hochspannungsnetz und die Umspannwerke.
Warum?
Germann Wegen den Erneuerbaren, wegen der Ladeinfrastruktur und wegen der Wärmepumpen. Das klassische Einfamilienhaus hat eine PV auf dem Dach, es gibt eine Wärmepumpe und ein Elektroauto. Was uns fehlt, ist ein Speicher, damit die Solarenergie zwischengespeichert wird. Wir sind starke Befürworter des Ausbaus von Photovoltaik. Aber bitte in Kombination mit einem Speicher.
Wie wirkt sich der Investitionsbedarf auf den Netzpreis aus?
Germann Wir haben eine Vorschaurechnung von 2025 bis 2030 erstellt. Jetzt sind wir bei 6,6 Cent pro Kilowattstunde. Das war ein relativ großer Sprung, ein wenig mehr als 20 Prozent. Bis 2030 dürften es insgesamt rund 30 Prozent sein. In den kommenden Jahren rechnen wir also mit moderaten Steigerungen.

Hätte man für die Energiesicherheit in Deutschland nicht die Kernkraftwerke weiter laufen lassen sollen?
Germann Die Kernkraftwerke haben einen großen Nachteil, nämlich die Entsorgung. Ich weiß nicht, ob wir Freude damit hätten, wenn wir uns um radioaktiven Abfall kümmern müssten, der zur Zeit von Christi Geburt produziert worden wäre. Die entscheidende Frage wird in Deutschland eher sein, mit welchem Tempo man aus der Kohle aussteigt. Die grauen Kraftwerke, also Kohle und Gas, braucht es an jenen Tagen dringend, an denen nichts Erneuerbares zur Verfügung steht. Deutschland hat über das Jahr gelegt schon über 50 Prozent erneuerbare. Die Herausforderung ist aber, dass das Gleichgewicht in jeder Sekunde gehalten wird.
Wie nah standen wir schon vor einem Blackout?
Gerd Wegeler Grundsätzlich wird die Gefahr medial oft etwas überspitzt dargestellt. Es gibt sehr ausgeklügelte und ausgereifte Systeme, die das System technisch in einem Normalzustand halten können. Aber das bedeutet nicht, dass es europaweit nicht zu schwierigen Situationen kommen kann. Am 8. Jänner 2021 zum Beispiel. Damals ist ein Umspannwerk in Kroatien ausgefallen, weshalb im Rest Europas die Netzfrequenz von 50 Hertz nicht mehr gehalten werden konnte. Innerhalb von Sekunden kam es zu Lastabwürfen in Italien und Frankreich, um das Netz wieder auf 50 Hertz zu bringen. Und am Balkan gab es eine Überfrequenz, da mussten Erzeugungseinheiten vom Netz genommen werden. Nach 50 Minuten war die Situation bereinigt. Aber es zeigt, wie unglaublich fragil das alles ist.

Wie sieht die Zukunft des Gasnetzes aus, wenn es immer weniger Kunden gibt?
Germann Aktuell haben wir 30.000 Kunden. Viele davon haben erst gerade investiert, wir werden das Gasnetz also sicher nicht überfallsartig zurückbauen. Derzeit haben wir hausintern ein Projekt am Laufen, das sich der Frage widmet, wie wir mit der Gasinfrastruktur weiter vorgehen könnten.
Wie könnte die Zukunft aussehen?
Germann Im Industriebereich wird man sich dem Thema Wasserstoff widmen müssen. Nach den aktuellen Plänen soll das internationale Wasserstoffnetz 2032 in Lindau sein. Grundsätzlich wären unsere Hochdruck- und Mitteldruckleitungen auch für den Wasserstofftransport geeignet. Es ist ein Zukunftsthema.
Wie weit entfernt ist diese Zukunft?
Germann Ein Abbau oder Rückbau oder eine Stilllegung des Gasnetzes steht absolut nicht vor der Haustür.
