Tag der Arbeit. Ein Gedenktag

Politik / 02.05.2025 • 10:44 Uhr
Tag der Arbeit. Ein Gedenktag

Zwei Statistiken, veröffentlicht in derselben Woche, könnten kaum kontrastreicher sein, und doch erzählen sie zusammen eine Geschichte über den Zustand dieses Landes, seiner Eliten, seiner Journalisten und auch seiner Fortschrittsverweigerer.

Die erste Statistik betrifft den Bildungsaufstieg. Oder, wie es in der kühlen Sprache der Statistik heißt: die Beteiligung am tertiären Bildungsbereich. Vor wenigen Jahrzehnten, so zeigt die Erhebung, schafften etwa vier Prozent eines Jahrgangs den Sprung an eine Universität oder Fachhochschule. Heute sind es über zwanzig Prozent (leider – zur politischen Behübschung – inklusive Meisterprüfungen). Ein fünffacher Anstieg. Und nein, das ist kein Schönrechnen oder „Gendersternchen-Gedöns“, wie der Stammtisch es zu nennen pflegt. Das ist messbarer Fortschritt.

Es geht hier nicht um Elitenreproduktion, es geht um Öffnung. Ein ehemals fast ausschließlich bürgerliches Bildungsprivileg ist in Bewegung geraten. Studieren ist in Österreich längst nicht mehr der Exklusivclub für die Söhne von Ärzten und Juristen. Dass dieser Wandel sich trotz beharrlicher Gegenkräfte vollzogen hat – gegen die Trägheit des Systems, gegen das ewige Raunzen, gegen institutionelle Selbstgenügsamkeit – ist bemerkenswert.

Noch bemerkenswerter aber ist: Dieser Bildungsaufstieg vollzieht sich in einer Gesellschaft, die sich ebenfalls verändert hat. Ein nicht verheirateter Ex-Kanzler mit Kindern? Akzeptiert. Gleichgeschlechtliche Ehe? Alltag. Migrantenkinder in Uniseminaren? Nicht mehr die Ausnahme. Wer also behauptet, Österreich sei stehen geblieben, lebt in einer populistisch befeuerten Nostalgie, die weniger mit Realität als mit ressentimentgetränkter Folklore zu tun hat. Dennoch und auch aus den Zahlen ersichtlich: Die frühe Trennung zwischen AHS und Mittelschule verhindert sozialen und ökonomischen Aufstieg – und ist eine Schande (die nur eine Partei zu verantworten hat, und das ist nicht die SPÖ).

Und nun zur zweiten Statistik. Pünktlich zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, zeigt uns die Statistik Austria, dass gearbeitet wird – nur eben weniger. Im Jahr 2004 betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 33,5 Stunden. Heute liegt sie bei 28. Selbstständige schrumpften von knapp 49 auf 36 Wochenstunden zusammen. Was für ein Segen! Weniger schuften, mehr leben, könnte man meinen.

Doch leider – und das ist der Punkt – verstehen viele meiner journalistischen Kolleginnen und Kollegen nicht, was sie da eigentlich berichten. Diese Reduktion der Arbeitszeit ist weniger Ausdruck einer arbeitsfreien Utopie, sondern das Ergebnis eines ganz banalen Trends: Teilzeitarbeit. Es arbeiten nicht unbedingt die gleichen Menschen weniger, sondern mehr Menschen arbeiten – und zwar in kleineren Dosen.

Die Frauenerwerbsquote ist gestiegen. Die Migration hat den Arbeitsmarkt diversifiziert. Und ja: Wer vormittags arbeitet, um nachmittags Kinder zu betreuen oder Deutsch zu lernen, wird statistisch zur Arbeitszeitverkürzerin. Aber nicht zur Faulenzerin.

Was daraus folgt? Erstens: Die Wirtschaftsberichterstattung in diesem Land sollte endlich aufhören, Statistiken wie Naturereignisse zu behandeln. Zahlen brauchen Kontext, und der entsteht nicht im Boulevard, sondern in der Analyse.

Zweitens und dennoch: Arbeitszeitverkürzung als politische Forderung klingt gut auf Parteitagen, führt aber in einer alternden Gesellschaft ohne Rohstoffe geradewegs in die wirtschaftliche Irrelevanz.

Bildung und Arbeit: zwei Seiten einer Fortschrittsmedaille. Aber nur, wenn man hinschaut. Und versteht, was man sieht.