Kommentar: Zwei Päpste, ein Dobrindt

Politik / 09.05.2025 • 15:20 Uhr
Kommentar: Zwei Päpste, ein Dobrindt

Es gibt jetzt zwei Päpste. Nicht einen alten und einen emeritierten, sondern zwei brandaktuelle Männer Gottes mit amerikanischem Pass. Der eine nennt sich nicht Papst, sondern Präsident, dafür aber die Wahrheit und den Rechtsstaat schon lange nicht mehr beim Namen. Donald I., Prophet des Unverstandes, Evangelist der Übergriffigkeit. Sein Katechismus: „America First“. Seine Exegese: Lügenpresse, Wahlbetrug, Border Wall.

Der zweite Papst, gerade frisch gewählt, trägt den Namen Leo. Auch ein Amerikaner. Auch ein Mann. Auch ein Sendungsbewusstsein. Man darf von ihm mehr erwarten. Er soll die Welt einen, den Planeten retten, die Armen schützen, das Klima ehren. Amen. Aber ob er am Ende mehr wird als das gute Gewissen im römischen Schattenreich der Reichen, wird sich weisen.

Doch wir wären nicht Europa, wenn wir nicht auch einen eigenen Stellvertreter Gottes auf Erden hätten. Einen, der das Abendland beschützt. Gegen wen? Gegen das Morgenland natürlich. Oder gegen alles, was dunkler ist als „Nordisch by Nature“ (Copyright „Fettes Brot“). Sein Name: Alexander Dobrindt. Der neue deutsche Innenminister mit der Aura eines Schülers, der im Geschichtsunterricht besonders gut aufgepasst hat. Ihm kam eine Idee. Menschen, die an der Grenze, zum Beispiel zu Österreich, „Asyl“ sagen, sollen zurückgewiesen werden. Begründung: Artikel 72 AEUV – Schutz der öffentlichen Ordnung. Den hatte eben schon dieses Österreich bei der Verweigerung des Familiennachzugs missbraucht. Wer hätte gedacht, dass es zur Rettung Europas nicht mehr braucht als einen Paragrafen und ein paar Fahrkarten zurück nach Salzburg oder Innsbruck?

Österreich, bekanntlich ein Land, das mit der Rolle des europäischen Asyl-Auffanglagers vertraut ist, erregt sich. Kurz. Dann zuckt es die Schultern.

Europa, dieses stolze Projekt, diese Friedensmacht mit Menschenrechtsmedaille am Revers, weiß beim Thema Migration nicht, wo oben und unten ist. Die derzeitige Rechtsordnung – EMRK, Genfer Flüchtlingskonvention, UNO-Verträge – wurde geschaffen für eine Welt nach Auschwitz, nicht für eine Welt vor der nächsten Klimakatastrophe.

Damals ging es um Schuld und Verantwortung, heute geht es um Zahlen. Und die sprechen eine brutale Sprache: Hunderte Millionen werden sich auf den Weg machen. Nicht heute. Vorgestern. Und nicht die Ärmsten – die können sich die Flucht nicht leisten. Sondern die halbwegs Gebildeten, die halbwegs Gesunden, die hoffnungsvollen Männer mit Kredit beim Dorfältesten und Nummer des Schleppers im Handy.

Wer flieht, ist selten ein Schutzengel. Aber wer ankommt, wird behandelt wie einer der Reiter der Apokalypse. Abschiebung ist das neue Sakrament. Und der politische Diskurs ist längst zur Beichtstunde der Böswilligen geworden. Man empört sich, dass in Lampedusa zu viele Boote landen, aber schweigt dazu, dass internationale Hilfe – etwa durch USAID – von Donald dem Erstgenannten abgeschafft wurde.

Leo, der zweite Papst, wird schöne Reden halten. Von globaler Gerechtigkeit, von Verantwortung, von Weltethos. Doch Europa wird weiter pragmatisch verwalten: den Migrationsdruck, die moralische Erschöpfung, den eigenen Zynismus. Humanität mit Obergrenze. Beistand auf Widerruf. Und den Artikel 72, gut gefaltet im Sakko für alle Fälle.

„Wenn der Mensch nicht mit der Welt fertig wird, dann muss eben die Welt mit dem Menschen fertig werden“ – das wird fälschlich Karl Kraus zugeschrieben. „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ – das stammt von Titus Maccius Plautus. Wir aber tun so, als wäre der Mensch bloß ein Verwaltungsakt.